Kunduz oder der Weg zum Sieg aus der Froschperspektive……
Aus Respekt vor meinen gefallenen Kameraden war es mir wichtig bis nach der Trauerfeier zu warten bis ich etwas zu diesem Thema schreibe.
Ruhet in Frieden Kameraden.
Nun zu meinem eigentlichen Anliegen. Durch den tragischen Zwischenfall vom letzten Freitag ist unser Einsatz wieder verstärkt in den Medien zu finden. Leider wird dabei aber auch immer sehr viel Mist gesendet, gesagt oder geschrieben. Ich möchte euch nun einen kleinen Einblick in die Lage vor Ort, aus der Sicht eines Insiders geben. Bevor der ein oder andere wieder den Zeigefinger hebt, möchte ich betonen das keine von mir veröffentlichten Informationen VS sind, sondern frei zugänglich. Lediglich meine Person wäre, wenn überhaupt, von meinem Beitrag betroffen. Ok, legen wir los…...
Situation in Nordafghanistan:
Wenn man den Medien Glauben schenkt, ist der Norden AFG fest in der Hand der Aufständischen. Weit gefehlt! Der deutsche Verantwortungsbereich umfasst circa 37 Distrikte. Ein Distrikt ist vergleichbar mit einem Kreis hier in Deutschland. Von diesen 37 Distrikten sind 4-5 als unstabil zu bezeichnen. Anders ausgedrückt, in diesen Distrikten sind Aufständische (den Begriff Taliban nutze ich bewusst nicht) aktiv. In den restlichen 33 Distrikten ist die Sicherheitslage und auch der Wiederaufbau durchaus erfolgreich bzw. stabil. Man führe sich bitte noch einmal vor Augen: Der Norden von Afghanistan, also der deutsche Verantwortungsbereich des Regionalkommando Nord (RC North), hat eine Größe die ungefähr 50 % der Landfläche Deutschlands entspricht (eine Ausdehnung von rund 1.200 km in Ost-West-Richtung und rund 400 km Nord-Süd Richtung)! Und lediglich 10% davon sind Indianerland.
Situation in Kunduz:
Drei der sieben Distrikte in Kunduz bewerte ICH als Indianerland. Das wären CHARA DAREH, ALIA BAD und IMAM SAHIB. Wenn wir in diese Distrikte rollen dann WISSEN wir das wir auf die Schnauze kriegen. Es stellt sich nicht die Frage ob, sondern nur wann und wie.
Bevor ich dazu komme wie wir in MEINEN Augen gewinnen können, möchte ich kurz definieren was ich unter Sieg verstehe: Der Moment in dem die AFG Sicherheitskräfte (Armee, Polizei und Geheimdienst) selbst für ein stabiles und sicheres Umfeld sorgen können, ist der Moment wo wir unsere Zelte abbrechen können.
So nun zu den Fakten:
In der letzten Zeit wurde häufig unsere Ausbildung oder unsere Ausrüstung kritisiert. Hier möchte ich ein paar Dinge klar stellen.
Ausbildung:
Unsere Kampftruppen gehören mit zu den besten aller in AFG eingesetzten Soldaten. Wir befinden uns auf Augenhöhe mit den Amerikanern, Britten oder wem auch immer. Im Gegenteil, in vielen Bereichen sind wir sogar besser. Weil wir so geile Typen sind? Nein, aber weil wir eine andere Art des Führens haben. Wir führen durch Auftragstaktik und nicht durch Befehlstaktik. Diese Art des Führens ist bei den Amerikanern oder Britten eigentlich nur bei den Spezialkräften zu finden. So profitieren wir mehr von den Fähigkeiten unserer Soldaten.
Woran hapert es also in diesem Bereich? Wenn ich ehrlich bin fällt mir nicht viel ein. Fakt ist jedenfalls das die drei Kameraden nicht gefallen sind weil sie schlecht ausgebildet waren.
Ausrüstung:
Hier muss man unterscheiden zwischen persönlicher Ausrüstung und Handwaffen auf der einen Seite und „schweren Gerät“ auf der anderen. Unsere pers. Ausrüstung ist Top. Es gibt nichts aber auch wirklich nichts was ich da vermissen würde. Ok, eine gescheites Messer haben wir nicht und Kniepads muss ich auch selber beschaffen aber sonst haben wir alles was das Herz begehrt. Ballistische Brillen, Schutzwesten, Kampmittelwesten (IDZ), Berghausrucksäcke und daypacks, GPS Geräte von Garmin, Camelbags usw. Zu unseren Handwaffen brauche ich, glaube ich, nicht viel sagen. Von der P8 bis zum MG4 alles da. Und auch in ausreichender Menge.
Nun komme ich zu dem schweren Gerät und hier sieht die Sache ganz anders aus. Mit dem Dingo 2 A2 und mit dem Fuchs A8 haben wir 2 verdammt gute Fahrzeuge. Ich war dabei als die Idioten einen Dingo mit einer 100 kg (einhundert) Ladung von der Seite angeblasen haben. Das Teil ist sieben Meter durch die Luft geflogen und alle 6 Soldaten waren nur leicht verletzt. Der Dingo hat mehr Leben gerettet als jedes andere in AFG eingesetzte Kriegsgerät. Leider haben wir aber nicht genug von den Autos. Wir benötigen circa 300 Dingos in AFG, verfügen aber gerade mal über die Hälfte. Was die Bewaffnung des Dingos angeht so kann ich euch versichern dass die FLW 100 schon so manchen Indianer den Tag versaut hat. In diesem Jahr bekommen wir die FLW 200 und dann werden aus 7,62 mm zarte 12,7mm. Das wird schön! Leider haben wir aber nicht genug von den Autos. Auch ist die Um- beziehungsweise Ausrüstung der Dingos mit der FLW 100 bzw. 200 einfach viel zu schleppend. Da sind andere Armeen einfach viel viel schneller.
Feuerunterstützung: Hier stecken wir richtig in der Scheiße! Die Bundeswehr verfügt mit der PzH 2000 über eines der modernsten Artillerie Systeme der Welt. Nur stehen die Dinger in Deutschland und nicht auf dem Ehrenhain in Kunduz wo sie hingehören. Nein, wir begnügen uns mit einem 120mm Mörser. Ist sicher eine schicke Flächenwaffe aber eben genau das können wir da gar nicht brauchen. Zu mindestens nicht als einzige indirekte Waffe vor Ort. Tja, also bekämpfen wir den bösen Feind weiter mit Handwaffen und Panzerabwehrwaffen. Ist ja auch nur fair. Schließlich nutzt er ja dasselbe und wer will schon einen Vorteil auf dem Gefechtsfeld haben.
Kampfhubschrauber: Keine! Haben wir nicht, kriegen wir auch nicht mehr rein. „Seufz“ Wir brauchen so etwas! Schnellst möglich! Feuerunterstützung aus der Luft ist so eine nette Sache… Mehr will ich dazu nicht sagen.
Personalansatz: Absurd! Auf jeden Soldaten der „draußen“ ist, kommen drei die das Feldlager nicht verlassen. Also ein Verhältnis von 1 zu 3. Das hatte vor Jahren vielleicht seine Berechtigung, aber im Jahr 2010 hat es dass nicht mehr! Ihr könnt euch ja ausrechnen wie viele der rund 5000 Soldaten in AFG „Mister ich hasse die westliche Welt“ tatsächlich in den Hintern treten und wie viele sich nur die Falten aus dem Sack schlagen. Klar, Logistik ist wichtig aber 1 zu 3? Bitte! Beispiel gefällig? In Kunduz gibt es einen Hauptmann dessen einzige Aufgabe die Landschaftspflege INNERHALB des Feldlagers ist! Und das ist nur ein Beispiel von dutzenden! Moderne Stabilisierungsoperationen teilt man in 4 Phasen ein. Shape, Clear, Hold und Build. In Sachen Shape und Clear sind wir Bombe! Nur bei Hold hapert es mächtig. Ich war letztes Jahr selber an einer Clear Operation im Raum CHARA DAREH beteiligt. Mit der afghanischen Armee zusammen hatten wir den Distrikt nach einer Woche so was von „gecleart“ Nur bringt das gar nix, wenn wir den Raum aufgrund Kräftemangel dann wieder dem Feind überlassen müssen.
Afghanische Polizei: Wo fange ich da bloß an? Die Provinz Kunduz ist 8000 Quadratkilometer groß. Dafür gibt es 1200 Polizisten. Nur bedeutet Polizeiarbeit in AFG nicht dasselbe wie Polizeiarbeit in Good old Germany. Ich behaupte jetzt einmal dass in Deutschland der normale Beamte seine Dienstwaffe selten im Einsatz abfeuert. Die Jungs in AFG stehen fast täglich im Feuer. Dazu eine desolate Ausrüstung und eine unzureichende Ausbildung. Wie ihr sicher wisst ist Deutschland Lead Nation für den Polizeiaufbau. Nun, das kann nicht klappen. Unsere Beamten dort unten sind chancenlos. Im letzten Jahr gab es für ganz Kunduz durchschnittlich 4 deutsche Beamte. 4 für 1200. Cool. Dann kommen ja auf jeden wackeren Schutzmann nur 300 Afghanen die von nix ne Ahnung haben. Ich bin in Sachen Polizei total ahnungslos, aber so wird das nichts.
Afghanische Armee: Hier sieht die Sache anders aus. Relativ gute Ausrüstung und in Sachen Ausbildung machen die Burschen riesen Schritte. Liegt aber daran dass jede AFG Einheit ein eigenes Mentoren Team hat, welches 24 Stunden 7 Tage die Woche mit den Burschen lebt, kämpft und wenn es doof läuft auch stirbt. Hier stimmen der Auftrag und der Kräfteansatz halbwegs. Aber auch da kann man noch einiges verbessern.
Aufbauhilfe: Völlig unzureichend! Solange wir es nicht schaffen dass die Afghanen ein halbwegs gutes Leben führen, bekommt der Feind immer wieder Zulauf.
Hier nun MEIN Forderungskatalog:
1) Der Kräfteansatz an operativen Kräften muss verdreifacht werden. Ziel muss es sein das einmal freigekämpfte Räume gehalten werden können. Nur so kann ein Wiederaufbau stattfinden und das Vertrauen der Afghanen gewonnen werden.
2) Die Ausstattung mit dem Dingo 2A2 muss schnellstmöglich in ausreichender Zahl erfolgen. Hier muss die Industrie endlich aus dem Arsch kommen.
3) Wir brauchen sofort 4 PzH 2000 in Kunduz. Davon muss eine 24 Stunden am Tag 7 Tage die Woche feuerbereit sein. Nummer zwei und drei müssen innerhalb von 15 Minuten klar zum Gefecht sein. Nummer 4 als Reserve.
4) Hubschrauber, gebt uns Hubschrauber! Das ist ja peinlich!
5)Die AFG Polizei in Kunduz muss auf mindestens 2500 Mann aufgestockt werden. Dazu noch eine vernünftige Ausrüstung für die Knaben, und ausreichend Polizeiausbilder.
6) Kohle! Viel, viel Kohle!
So, ich will hier ja keinen Roman schreiben und hoffe dass ich euch nicht zu sehr gelangweilt habe. Ich betone ausdrücklich dass ich hier MEINE Meinung poste. Falls es hier jemand gibt der mich noch nicht kennt und sich fragt wie ich dazu komme?
12 Einsätze bis heute, davon 2 in Idiotistan und im Juli habe ich schon wieder ne Runde Kunduz gebucht. Da darf man sich auch mal auskotzen.