Die Leistung eines Nachtsichtgerätes kann man nicht wie die Schussleistung einer Büchse o. ä. in knappe Zahlen fassen – weder eine Generationenbezeichnung noch die Angabe einer x-tausendfachen Verstärkungsleistung sagt etwas über die nutzbare Beobachtungsleistung mit dem Gerät aus. Auch Fotoaufnahmen durch die jeweiligen Geräte bei gleichen Umgebungsbedingungen lieferten kaum einmal die Ergebnisse, wie sie sich bei Hindurchsehen dargestellt hatten, so dass auf eine Wertung der Leistung über einen Vergleich hinaus verzichtet wurde. Einen Vergleich kann der Interessent am besten selbst durchführen – unterschiedliche Sehgewohnheiten und Fehlsichtigkeiten wirken sich erstaunlich stark aus.
Das Design des Zeiss Victory Nachtsichtgerätes erinnert an eine mit 233 x 70 x 100 mm etwas größere und 1100 g schwere digitale Videokamera. Gegenüber den etwas schmucklos-militärisch-schlicht daherkommenden Modellen der anderen Anbieter wirkt es etwas gefälliger und weniger nüchtern, wenn auch immer noch schnörkellos. Das Victory-Paket entpuppte sich beim Auspacken als Ausstattungsweltmeister. Neben dem Nachtsichtgerät samt Objektiv und Batterien gehören unverlierbar befestigte Okular- und Objektivschutzkappen zum seroienmässigen Lieferumfang, weiters eine Handschlaufe, Trageriemen sowie eine gepolsterte Bereitschaftstasche mit mehreren Staufächern und gekletteter Innenunterteilung. Liebevolle wie zweckmäßige Details zeigen, dass fast an alles gedacht ist: die ; von der Gewindebohrung für das Stativ weist eine Reduzierbuchse auf, so dass zwei unterschiedliche Gewinde passen; in die Tragriemen von Gerät und Umhängetasche eingewobene Gummifäden verhindern ein Abrutschen; es gibt sogar eine Wasch- und Pflegeanleitung für das beiliegende Optikpflegetuch (das auf die spezielle, wasserabweisende Lotutec-Beschichtung der Linsen abgestimmt ist) usw.
Die vielsprachige Bedienungsanleitung fällt mit 9x14 cm etwas kleinformatig aus, lässt aber u. a. aufgrund der vielen graphischen Darstellungen nur eine Frage offen: Hersteller und Modell der verbauten Generation 2+-Bildverstärkerröhre. Der Hinweis auf die Beachtung deutschen Export- wie US Reexportrechtes scheint hier „über den großen Teich" zu weisen. Auf Anfrage standen diese Daten allerdings zur Verfügung.
Nach dem Studium der Bedienungsanleitung ging es an das Einlegen der beiden AA-Batterien, die bei einer Kapazität von je 2600 mAh rund 80 Betriebsstunden ermöglichen sollen (ohne Zuschaltung des eingebauten Infrarotstrahlers). Der eingebaute Spannungswandler ermöglicht auch die Verwendung von Akkus, wobei die resultierende Betriebsdauer von der verwendeten Kapazität abhängt. Der besondere Charme des eigentlich etwas altmodischen AA-Batterieformats liegt in der Verfügbarkeit, die fast überall gegeben ist – anders als bei exotischen, wenn auch evtl. kompakteren Spezialbatterien.
Die Bedienfeld liegt griffgünstig auf der Geräteoberseite, es weist drei leicht erhabene Schaltflächen auf, die mit +, - und einem Strahlerzeichen versehen sind. Gerade mit Handschuhen würde man sich oft etwas markantere Bedienfelder wünschen. Zum einschalten betätigt man die + Taste für rund eine Sekunde, zum ausschalten + und – Taste gleichzeitig. Die dritte Taste schaltet den für die Beobachtung im Nahbereich bis 15 m vorgesehenen IR Strahler ein bzw. aus; dessen Austrittsöffnung liegt unterhalb des Batteriefaches. Beim Ausschalten des Gerätes geht auch der IR-Strahler aus. Die Schaltvorgänge erfolgen lautlos.
Im Revier
Angesichts der dicken Polsterung der Tasche kam auch auf den ruppigen Wegen ins Revier keine Sorge um das eigentlich empfindliche Gerät auf, auch nicht beim Aufstieg auf den Hochstand. Nach dem Einschalten zeigte sich ein absolut randscharfes, verzerrungsfreies Bild, das nicht den kleinsten Röhrenfehler (scharze Punkte oder Flecken, „chicken wire" etc.) offenbarte. Die Okularverstellung auf die individuelle Sehschärfe (Dioptrienausgleich +/- 4 Dioptrien ) erfolgt durch das Drehen der Augenmuschel, die sich für Brillenträger versenken lässt. Beide Positionen rasten präzise und fest. Steht der kleine Nocken am äußeren Rand der Augenmuschel oben, befindet sich der Dioptrienausgleich in der Neutralstellung. Die im unteren Rand des Sichtfeldes sichtbare Strichplatte erlaubt nicht nur ein schnelles Abschätzen von Größe bzw. Entfernung eines Objektes, sie hilft auch bei der zügigen Einstellung der Bildschärfe – erscheint die Strichplatte scharf, stimmt der Dioptrienausgleich. Ein Vorteil, den man sehr schnell zu schätzen lernt und bei anderen Geräten vermisst. Ansonsten nimmt man die Strichplatte kaum wahr; sie wird vom Gehirn bei Nichtgebrauch quasi ausgeblendet und stört nicht.
Die entfernungsabhängige Bildschärfeneinstellung erfolgt durch einen großen, griffig geriffelten Ring am Objektiv; Objekte ab etwa 5 m Entfernung lassen sich scharf einstellen. Die Verstellwege sind angenehm kurz, die Verstellungen leichtgängig, aber vertrauenerweckend fest, so dass ein Verstellen von selbst nicht wahrscheinlich erscheint.
Bei Vollmond arbeitet die elektronische Helligkeitskontrolle spürbar, beim Schwenken aus dem Schatten ins Mondlicht merkt man das Zurückfahren der Bildhelligkeit. Unter diesen Lichtverhältnissen hat man den Eindruck, bei normalem Tageslicht ein in Grüntönen dargestelltes Fernsehbild der Umgebung zu betrachten.
Rehe ließen sich bei Halbmond und bedecktem Himmel auf 150 m klar als solche erkennen – d. h. die beim Blick durch ein 8 x 56 bzw. 10 x 60 Markenfernglas nur dunkel aus dem Weizen ragenden Flecke waren eindeutig keine Schweinerücken, sondern Rehhäupter. Nur ein (junger) Testseher konnte Böcke und Geißen in diesem Beispiel anhand des Gehörns unterscheiden.
Die regelbare Verstärkungsintensität will überlegt betätigt sein. Nicht immer verbessert das Hochfahren der Verstärkungsleistung über die +-Taste die Abbildungsqualität. Bei schlechten Lichtverhältnisse, etwa beim Blick in den Hochwald, wird das Bild bei hochfahrender Verstärkung zwar heller, nicht aber unbedingt auch klarer, weil gleichzeitg auch das „Grieseln" oder Bildrauschen zunimmt. Dieser Effekt führte zur Bezeichnung Blizzardtaste. Überraschenderweise machte ein Zurücknehmen der Verstärkungsleistung das Bild in einigen Fällen deutlicher – trotz dunklerem Bild entstand durch bessere Kontraste ein deutlicherer Gesamteindruck. In diesem Zusammenhang ist die Angabe der 20 000 fachen Lichtverstärkung in den technischen Daten etwas unglücklich, wobei Angaben dieser Art ohnehin ohne die Angabe der Rahmenbedingungen völlig informationsfrei sind.
Abgesehen von nächtlichen Beobachtungen im Laubwald und innerhalb von Gebäuden war immer genügend Restlicht vorhanden, um auch auf weitere Entfernungen beobachten zu können. Im Nahbereich bis 15 m half hier der eingebaute IR-Strahler, der beim Ausschalten des Gerätes automatisch mit ausgeschaltet wird. Beim Einschalten ist immer eine mittlere Verstärkungsleistung voreingestellt. Das Gerät arbeitete für unsere Ohren geräuschlos. Helle Höfe um leuchtende Objekte treten auf, halten sich aber in engen Grenzen.
In den Gebrauchshinweisen findet sich der Verweis auf die im Fachhandel erhältlichen leistungsfähigen Infrarotlichtquellen aus Weißlichtlampen und Filter (genannt sind die Modelle Maglite, Minimaglite bis hin zu Surefire 6 und 9 P sowie SureFire F839 Filter). Die Nichtnennung von IR-Diodenlampen und –lasern erstaunt etwas. Das Gerät kommt ohne Pflege aus, es reicht, Staub oder Schmutz weg zu pusten oder mit dem Pinsel zu entfernen.
Fazit:
Für den markenbewussten User, der ein reines Beobachtungsgerät sucht und Wert auf vernünftige Leistung, hohen Bedienkomfort und Komplettausstattung „out of the box" legt, die richtige Wahl. Für die rund 4300 Euro wird nicht zuletzt aufgrund der Vollausstattung ein fairer Gegenwert geboten.