Es ist mir klar, dass dieser Beitrag eine eigentlich schon bis ins Aschgraue ausgefochtene Diskussion neu entfachen könnte. Sei es drum, bei entsprechendem Überdruss ist man meine Überlegungen ja mit einem Mausklick los...
Nachdem ich bereits ein paar Monate erst den US-Vertrieb, dann den in Deutschland zweier Schrade-Messer beobachtet habe, die sehr an die „Projects“ von Reeve erinnern, habe ich kurz darauf ein weiteres Messer wahrgenommen, das diesmal ziemlich an die Formgebung des „Pacific“ angelehnt ist und in den USA etwas günstiger als die „Project“-Klone angeboten wird.
Heute ist es mir auf der Neuheitenseite bei http://www.knifetom.net aufgefallen, so daß es nun auch ohne Auslandsbestellung hier verfügbar ist, und zwar für schlanke 65 Euro. Das war für mich Anlass, noch einmal im Zusammenhang über die „einschlägige“ Diskussion nachzudenken und mein persönliches Ergebnis hier vorzustellen. Wie gesagt, bei Langeweile oder Überdruss einfach weiterklicken – bei Zustimmung, aber auch Ärger, meinetwegen auch Verachtung bis Abscheu, aber ruhig mal dagegenhalten, ich bin da robust...
Die Messer werden in den USA seit Monaten vertrieben, dort hat auch CR seinen Firmensitz – einem Land, in dem es schon Millionen an Schadenersatz kosten kann, wenn man seine Kunden darauf hinzuweisen vergisst, dass die neu erworbene Waschmaschine vielleicht doch nicht zum Reinigen von Kleinkindern und die Mikrowelle nicht zum Trocknen gebadeter Yorkshire-Terrier vorgesehen ist. Dort gelten ganz ähnliche Patent- und Geschmacksmusterbestimmungen wie hier: Wer eine sich von anderen signifikant unterscheidende eigene gestalterische Leistung ausschließlich selbst vermarkten will, läßt sich das Muster schützen. Das kostet (viel) Geld, wird aber bei unzähligen Produkten vom Erfrischungsgetränk bis zum Reißverschluss ganz selbstverständlich seit Jahrzehnten so gemacht. Der Vertrieb durch amerikanische Internet-Händler wurde ganz offensichtlich bislang NICHT unterbunden, entweder mangels entsprechender Schutzrechte oder aus wirtschaftlichem Kalkül, beides aber jedenfalls dann aufgrund freier unternehmerischer Entscheidung.
Dem Kunden wird vorliegend NICHT vorgemacht, ein Reeve zu erwerben, weder durch absichtlich ähnlichen Hersteller- noch Produktnamen wird ihm dies suggeriert, der Preis unterscheidet sich drastisch vom Vorbild, er beträgt gerade einmal ein Fünftel. Dem Hersteller des Vorbilds werden faktisch keine Kunden weggenommen: Wer sich – aus welchen Gründen auch immer – für ein Reeve interessiert und als potentieller Kunde ernsthaft in Frage käme, wird kein Schrade erwerben, andersherum wird die Zielgruppe des 65-Euro-Messers nicht in signifikanter Anzahl bereit sein, für ein Messer 300 Euro zu bezahlen (dazu ist, nüchtern betrachtet, außer Liebhabern und wenigen Puristen, selbst unter Einsatzprofis nur ein relativ kleiner Prozentsatz bereit...).
Aufgrund der Unverwechselbarkeit ist auch ein Imageschaden für den Hersteller des Vorbildes nicht zu befürchten: Qualitätsmängel beim Klon gehen nicht auf das „Konto“ des Originals.
Wird die Anzahl der zu verkaufenden Produkte (bzw. die Anzahl der Käufer) nicht reduziert, wird durch einen Klon auch der Entwicklungskostenansatz des originalen Herstellers nicht geschädigt: Er wendet die Kosten zum späteren Verkauf seines Produktes auf, von dem er eben nicht weniger durch das Angebot eines Klons verkauft.
Durch die Unterschiedlichkeit der Konsumentengruppen bei gegenseitiger Durchlässigkeit der Produktpräsentationen zwischen den Gruppen profitiert der Klon-Anbieter selbstverständlich von der Präsentation des Originals: Das „Pacific“ weckt Kaufhunger bei der Kundengruppe, die anderseits höchstens „einen Hunni“ für ein Messer bezahlen würde – und die kauft den Klon. Dies ist jedoch keine „Einbahnstraße“, da bei der Konsumentengruppe, die wegen ihres größeren Budgets oder aus anderen Gründen das Original kaufen würde, durch die Präsentation des Klons das Original in Erinnerung gerufen wird, mit demselben Ergebnis.
WAS leidet, ist natürlich die Exklusivität bestimmter Gestaltungen. Gibt der Hersteller des Vorbilds zu, dass ihm schon etwas daran liegt, dass der Käufer des Vorbilds auf den Nimbus der Zugehörigkeit zur elitären Nutzergruppe eines exklusiven Produkts spekuliert (..und eben nicht nur auf die so gern vermarktete Ausnutzung maximaler Leistungsfähigkeit...), fühlt er sich durch den Klon vermutlich berechtigt geschädigt. Dann ist der Kunde wohl wirklich verschnupft, wenn da auf einmal haufenweise Leute mit einem Griffdesign herumlaufen, das gefälligst elitär und darum schwellenbildend teuer zu sein hat. Dann zurück auf Start: Geschmacksmusterschutz, dafür löhnen Lacoste, Rolex & Co. schließlich auch.
Hingegen wertet es ein Produkt durchaus auch auf, Vorbild von Entlehnungen bis Kopien zu sein: Kopieren ist ein Kompliment, eben die Anerkennung einer attraktiven, im Wortsinne vorbildlichen Gestaltung. Wegbereiter kann man nur werden, wenn eben auch andere diesen Weg dann beschreiten. Will man für die „Cover-Versionen“ dann als Urheber des Vorbilds auch Kohle, muß man die juristischen Voraussetzungen schaffen, nüchtern gesehen.
Schließt sich der Schöpfer eines Vorbilds diesen Erwägungen nicht an – wieder auf Start: Geschmacksmusterschutz. Ist völlig legitim – aber unter dem Strich scheinen gar nicht so wenige Hersteller diesen Weg eben NICHT zu beschreiten, zumindest so lange keine kundentäuschend mit falschen Herstellerangaben versehenen Fakes kursieren und am eigenen Ruf kratzen.
Die Entscheidung darüber überlasse ich als Konsument aber gern dem Hersteller und maße mir übrigens auch nicht an, seine Motivation für die Entscheidung zu Intervention oder Tolerierung vollständig nachvollziehen zu können.
Kann ich das NICHT (und fast keiner der Teilnehmer illustrer Diskussionsrunden hat SO viel Einblick in die Interna unternehmerischer Entscheidungsfindung, auch nicht unter eingeschworenen Aficionados in der jeweiligen Fangemeinde, der ICH als Hersteller auch nicht jeden insgeheimen Grund meiner Entscheidungen auf die Nase binden würde...), artet aufgeregte moralische Überheblichkeit schnell in Albernheit aus.
Wie peinlich ist das denn, sich vielleicht als eingeschworener Fan bestimmter Marken oder Gestaltungen zum edlen Retter der Original-Marke aufzuschwingen, wenn deren Chefs vielleicht insgeheim die gleichen Überlegungen angestellt haben wie ich gerade? Da tummeln sich Gralshüter des Schutzes wirtschaftlicher Interessen, die vielleicht von den Inhabern der Rechte ganz anders bewertet werden? Es ist nicht zufällig im Verwaltungsrecht eine Zulässigkeitsvoraussetzung, dass man selbst beschwert sein muss, wenn man sich beschweren will...
ICH lasse mir das allenfalls bei Konstellationen gefallen, in denen ich objektiv keine Einwirkungsmöglichkeiten des Original-Produzenten erkennen kann (etwa bei Direktvermarktung von Klonen aus China, wo man sich um Geschmacksmuster eher weniger Gedanken macht). Noch einmal: Ich rede hier NICHT von Kundentäuschung oder von der missbräuchlichen Verwendung geschützter Geschmacksmuster!
Was dem Kunden dann bei der Entscheidung noch bleibt, sich an ein Original zu halten oder ggf. auch den Klon zu kaufen, ist persönliche Präferenz, allenfalls noch eine qualitative Betrachtungsweise.
Entscheidungen zur persönlichen Präferenz treffe ICH für MICH und halte es in einschlägigen Diskussionen für anmaßend, sie gleich auch für andere mit treffen zu wollen – was oft genug geschieht. Ich finde es völlig in Ordnung, für sich selbst aus rationalen Gründen heraus, meinetwegen aber auch „weil es einem so gefällt“, Klone auszuschließen. Will ich das für Dritte entscheiden, bedarf es belastbarer Sachgründe.
Fortsetzung in Beitrag 2!