Camillus - Die amerikanische Messer-Legende

  • Durch ein Gespräch mit hanomag wurde ich ermutigt, einmal einen kleinen Blick auf Camillus zu werfen, bzw. euch dieses Urgestein der amerikanischen Messerszene genauer vorzustellen.


    Zur Einleitung:

    Persönlich verbindet mich mit Camillus einiges: Das "Pilot Survival Knife" war quasi das erste hochwertige feststehende Messer, das ich bekomme habe. Ich kann mich noch genau an das Geschäft erinnern: ein winziger Laden in Paris, dessen Auslage größer war als das eigentliche Geschäftslokal. Dass mir noch dazu mein Vater dieses Messer damals gekauft hat, macht dieses spezielle Gesamterlebnis „Messer“ umso prägender für mich. Insofern hatte ich schon ein aufmerksames Auge auf die Firma geworfen, lange bevor ich mich in den einschlägigen Messerforen herum trieb.
    Das Pilot Survival Knife wurde dann in weiterer Folge um ein "M3 Trench Knife" ergänzt - wie ihr euch denken könnt, war hier Band of Brothers und die amerikanische Airborne der auslösende Faktor. Letzten Endes musste ich dann 2007 traurigerweise feststellen, dass die Firma in den Konkurs gegangen ist. Ich habe damals noch schnell alles abgegrast und konnte noch zwei "Mark 2 USMC Combat Utility Knives" ergattern. Ich muss immer noch grinsen, dass ich auf meinem ersten Forentreffen ein Camillus HEAT eingesteckt hatte, während alle anderen mit Strider SNGs und Microtech OTFs herumliefen.


    Im Grunde könnte das jetzt das Ende meiner Präsentation sein. Kitschige Anekdoten mit ein paar Fotos wären, zusammengefasst in 1200 Schriftzeichen, genügend für das
    Internet. Dennoch will ich euch ein wenig mehr erzählen:




    Geschichte:

    Die Firma wurde 1876 von Adolph Kastor gegründet - einem jungen emigrierten Deutschen jüdischer Abstammung, der zuvor noch im Eisenwarengeschäft seines Onkels gearbeitet hatte. Nach dessen Tod machte sich Kastor selbstständig und importierte zunächst Messer aus deutscher Fertigung, bis er aufgrund der damals aufkeimenden amerikanischen Protektionismuspolitik gezwungen war, sich auf anderem Wege Messer zu beschaffen da ein Import aufgrund der Zölle nicht mehr rentabel war.

    Die Lösung war bald in einer lokalen Messermanufaktur eines gewissen Charles Sherwood gefunden, die aufgekauft und mit neuesten Maschinen modernisiert wurde. Diese gab der Firma auch den Namen, der an die Ortschaft angelehnt war, in der man sich niederließ: Camillus, New York. Damit stand der Erfolgsgeschichte von Camillus nichts mehr im Wege. Um 1910 hatte die Firma an die 200 Mitarbeiter und produzierte fast eine Million Messer im Jahr. Die Mitarbeiter bestanden zu einem Großteil aus deutschen Auswanderern, für die sogar ein Wohnheim in der Nähe der Fabrik gebaut wurde. Man ging sogar soweit, die Loyalität und den Einsatz zur bzw. für die Firma insofern zu belohnen, dass man half, die Familien der Arbeiter in die USA nach zu holen.


    Im Ersten Weltkrieg war auch Camillus maßgeblich an der Produktion für die amerikanische Armee beteiligt, aber aufgrund des späten Kriegseintritt der USA gingen der Großteil der Messer vor allem an die Alliierten - Kanada, Großbritannien und die Niederlande. Insgesamt wurden im 1.WK 471.044 Messer für den Kriegseinsatz produziert. Darunter waren auch Skalpelle und Taschenmesser mit Löffel für das Rote Kreuz zu finden.

    In den 1920er Jahren wurde dann erstmals ein Stainless Steel eingeführt und die Produktionspalette um sogenannte „Character Knives“ erweitert, die Personen wie George Washington oder Babe Ruth gewidmet waren. Des Weiteren produzierte man Messer für andere Firmen wie Sears,Roebuck & Co, oder Woolworth, die ihre Messer erstmals der breiten
    Öffentlichkeit über Kataloge zugänglich machten.


    Mit dem Zweiten Weltkrieg wurde auch bei Camillus wieder der Fokus auf die kriegsorientierte Produktion gelegt. Insgesamt wurden 15 Millionen Messer für die US Truppen und deren Alliierte produziert.
    Dabei wurde 1942 in Zusammenarbeit mit Col. John M. Davis und Maj. Howard E. America das Messer konzipiert, das mittlerweile als das legendäre Ka-Bar weltweit bekannt und noch immer benutzt wird. Offiziell „USMC Mark 2 Fighting and Utility Knife“ genannt, wurde dieses Messer am öftesten von Camillus produziert (806.600 Stk), nicht zuletzt aufgrund der Tatsache, dass der Firma als Erstes der Auftrag für die Fertigung übertragen wurde.



    USMC Mark 2 Fighting and Utility Knife






    Neben dem USMC MK2 wurden aber auch andere Messer und Werkzeuge gefertigt:

    • Die legendäre „Folding Machete“ - insgesamt 121.848 Stk
    • Der „USMC Raider Stiletto“ - insgesamt 14.370 Stk
    • Das „M3 Trench Knife“ - insgesamt 402.909 Stk
    • Aber auch Klappmesser, wie das „Signal Corps Pocket Knife“ (hier konnte ich keine Anzahl finden)

    M3 Trench Knife






    Vor allem das Raider Stilleto ist neben den anderen Messern mittlerweile eine Sammlerrarität, da es an den Fairbarn Sykes Dolch angelehnt war, mit dem Unterschied, dass der Griff oval und nicht rund war, um das Griffgefühl zu verbessern. Aufgrund der geringen Stückzahl, sind nur mehr wenige Exemplare davon vorhanden.
    Für die Leistung der Firma wurde ihr dreimal der US Army/Navy „E“xcellence Award verliehen.


    Nach dem Zweiten Weltkrieg konnte man wieder die Produktpalette ausweiten. Die „Character Knives“ wurde mit Modellen zu Ehren von Daniel Boone, Davey Crockett und anderen ausgeweitet und man war maßgeblich an der Produktion für die Klappmesser der US Pfadfinder beteiligt.

  • Während des Vietnam Krieges war man abermals in großem Umfang an der Produktion für die Kampfmesser der US Streitkräfte involviert.


    Neben dem bereits kampferprobten USMC MK2 wurde auch erstmals das „Pilot Survival Knife“ produziert, das als verkleinerte Version des MK2 galt, mit einem Säge- bzw. Raspelrücken, mit dem man sich durch das Aluminium eines Flugzeuges bzw. Helikopters durchkämpfen können sollte.
    Weitere Messer dieser Zeit waren das „4 blade utility knife“ und für die Fallschirmjäger das „MC-1 Paratrooper Knife“, das ein Springmesser war.



    Pilot Survival Knife






    Die Firma wurde laufend erweitert und man kaufte 1991 sogar einen weiteren amerikanischen Traditionsbetrieb - die Western Cutlery Company (gegründet 1896) - auf.


    Die schon sehr große Produktpalette wurde ab der 1990er Jahre durch Kooperationen mit namhaften Messerdesigner nochmals ausgeweitet. Über die OVP Produktlinie (engl.: Our very best) wurde in Zusammenarbeit mit dem renommierten und als „living national treasure“ ausgezeichneten Jerry Fisk ein limitiertes Bowie auf den Markt gebracht (So ein Bowie musste über Monate sein Dasein im Marktplatz des Messerforums fristen).

    Weite Bekanntheit und der eigentliche Grund, warum Camillus vor allem bei uns bekannt ist bzw. war, sind die Messer die zusammen mit Darrel Ralph, Bob Terzuola oder Becker Knife and Tool, aber auch Rob Simonich entstanden sind. Hier könnte man auf so viele spannende Modelle eingehen, die ich leider nicht besitze und schon ein paar Mal verpasst habe. So zum Beispiel das CQB - 1 von Terzuola, der Titanfolder von Darrel Ralph, den ich zumindest als Billigversion in Form des Camillus Heat habe und viele viele andere.


    Camillus Buckmaster und Camillus Heat


    Im Jahr 2007 ging Camillus in Konkurs. Grund hierfür waren die Überhand nehmende Konkurrenz aus Fernost, ein schlechtes Management der Firma und damit einhergehende Profitrückgänge. Es kam zu Streiks aufgrund von Gehaltskürzungen, Produktionsstillständen, da zeitweise die Fabrik zugesperrt wurde und zu Lieferengpässen. Dies alles führte letzten Endes dazu, dass die Firma in die Annalen der Geschichte einging und die Marke „Camillus“ mit einigen Modellmustern an ACME United Brand verkauft wurde.


    ACME
    vertreibt nun unter dem Namen Camillus zwar noch einige originale Designs, der Charme der alten Firma ist jedoch verloren gegangen und eine Kontinuität wird nicht zuletzt aufgrund der fehlenden Bereitschaft, die Garantie auf alte Produkte der Firma zu übernehmen, verhindert. Wohl auch aufgrund der simplen Tatsache, das Ersatzteile und dergleichen fehlen.


    The End:


    Sozusagen ist nach 131 Jahren Firmengeschichte eine amerikanische Ikone des Messermarktes zu Grabe getragen worden, an deren Kadaver die Geier nach wie vor zehren. Für mich wird Camillus immer eine besondere Firma bleiben und wenn ich das nächste Mal ein CQB-1 sehe, oder einen alten Terzuola Folder, oder einen Cuda Dominator, oder, oder, oder....

    ... ihr wisst was ich meine.


    Wer an detaillierteren Informationen interessiert ist, sei auf folgende Homepages verwiesen:


    Danke fürs Lesen! Ich hoffe, es war keine Zeitverschwendung für euch.

  • Hallo LowEndD und Danke für diesen wirklikch interessanten und informativen Bericht!
    Das Pilot Survival Knife ist schon länger auf meiner Liste, meistens aber nur noch von Ontario im Angebot.
    Gruß Eiserner

    SEX, KNIVES AND ROCK'N'ROLL

  • Sehr schöner Bericht. Gerade die Anekdote von Paris hat mir gut gefallen, zeigt sie doch mal wieder, was einen persönlich mit einem Messer verbindet.


    Es scheint so, als hätte Camillus nach dem Vietnamkrieg den Anschluss als Militärausstatter gegen andere inländische Firmen wie Phrobis/Buck verloren und sich stattdessen auf den Privatmarkt
    konzentriert, wo jedoch dann die japanischen Importe, wie du bereits sagstest, eine zu große Kunkurrenz darstellten.



    In der "History of Camillus" war man im Jahr 2002 noch recht zuversichtlich:
    To this day, Camillus still remains the leading private label knife manufacturer.
    Over 20 different private label brands are produced along with the Camillus
    and Western products. Camillus has produced innovative products throughout
    their existence and are forging ahead into the new millennium with knives like
    the Cyber Knife, CUDA folder, and the CQB-1, with many more to come!
    Camillus' reputation has withstood the test of time.
    As one can see, Camillus is truly a "Quiet Giant of Knifedom".

    by Dexter Ewing


    PS: das M3 Trench Knife gefällt mir besonders gut. Schön dass du noch ein "Original" bekommen hast. :thumbup:

    ~ You can't take the sky from me! ~

  • Ich schließe mich Termite an. Super und danke dafür. :thumbup:
    Gruß Merc

    People are tribal. The more settled things are, the bigger the tribes can be. The churn comes, and the tribes get small again.
    IG: @mgph.edc

  • JA, vor ein paar Jaren sind noch regelmäßig welche in den Foren und Verkaufsplattformen aufgetaucht. Mich ärgert es bis heute, dass ich damals als Student nicht das Geld hatte mir das OVB Jerry Fisk Bowie aus dem MF zu schnappen. In den USA sind die Messer noch leichter zu bekommen.


    Kritiker haben ja gemeint, dass sich Camillus auf die Produktion von High Quality Messern hätte konzentrieren sollen, da man der Massenware aus Fernost nichts entgegenhalten konnte. Ich glaube, dass es in den 2000er dann sehr schnell gegangen ist. Den Optimismus kann ich nachvollziehen. Die Becker Tools waren legendär, die Terzuola Kooperationen sind auch weg gegangen wie die warmen Semmeln.


    Der Beckern Necker dürfte jedem ein Begriff sein. Über die Ka-Bar Produktion ist ja nicht jeder so glücklich. Wie dem auch sei... die neue Firma hat nur mehr den Namen. Finde ich schade, da man hier wirklich ein Musterbeispiel des "Amerikanischen Traums" - so emotional diese Nationale Erzählung auch behaftet sein mag - vor Augen hat.

  • Danke für die interessante Geschichte. Das OVB Jerry Fisk Bowie und das CQB 1 sind für mich sehr interessant, vor allem das Bowie ist ein sehr schönes Messer.

    vae victis

  • Sehr schöner Beitrag, unterhaltsam und informativ. :thumbup: Die Zeit nehmen sich hier leider nicht mehr viele (anderes Thema).


    Das Pilot Survival Knife ist ein schönes Teil. Ich hatte mal eins von Ontario aber die Qualität von Camillus soll da deutlich besser sein.

    Es gibt nichts Gutes, außer man tut es

  • Ich bekam um die vorigen Weihnachten von David einen Camillus Heat. Seit dem habe ich ihn nie mehr hergegeben und der wurde quasi zum EDC. Ein schönes Messer, sauberst verarbeitet, rasant zu Öffnen und schneidet gut. Und es erinnert an einen guten Freund :buds:

  • Chris: :buds:



    Zu Ontario: Ich hatte nie eines der Ontario Messer in der Hand. Aber Ontario ist eine der wenigen amerikanischen Firmen, die nach wie vor dieses Klassiker ungeschönt produziert und teils noch an die US Streitkräfte ausliefert.


    So schön beispielsweise die Ka-Bars aus Olean sind, haben sie dennoch nicht den Charme eines Old School USMC MK2, dessen Griff nicht dermaßen versiegelt und deren Klingen nicht so schön beschichtet sind.


    Die Camillus Messer sind jedoch auch nicht ganz makelos. Beim Pilot Knife und beim M3 wackelt jeweils ganz leicht das Parierelement, aber mich stört das nicht. :love:

  • Super David, danke!!!
    Eine wirklich interessante Firmengeschichte, kompetent und kompakt dargestellt.
    Das Ende von Camillus, resp. das was davon heute noch übrig ist, macht traurig.

    MfG, Joachim
    Nachrichten bitte per E-Mail.

  • Vielen Dank für deinen schönen nostalgischen Rückblick über Camillus. Es war sehr schön zu lesen, zudem hab ich noch was gelernt :).

  • David,
    danke für den kurzweiligen historischen Vortrag. :thumbup:


    Zitat von LowEndD

    mir das OVB Jerry Fisk Bowie aus dem MF zu schnappen


    Ich hatte es damals bei einem der Mottenburg-Treffen in der Hand und konnt nicht widerstehen. :rolleyes:
    Ein wirklichschickes Bowie!



    Bis denne!
    Frank

    Wozu braucht man das?

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