Review: Der kleinste Werkzeugkasten der Welt, oder: das Victorinox EvoGrip S54

  • Der
    eine oder andere wird sich noch an den früheren Werbeslogan von Victorinox erinnern, dieser lautete eben genau so.


    Und womit?
    Mit Recht ;)


    Hier Alle Mann an Deck! Der Victorinox Boatsman ist da! hatte ich Euch ja mein erstes „Delemont Edition“-Victorinox vorgestellt.


    Nun, Ihr kennt das, es ist nicht alleine geblieben. Einige der nach der Übernahme von Wenger eingeführten Änderungen habe ich im obigen Review zusammengeschrieben, gegebenenfalls lohnt sich also vorab ein Blick in diese Review.



    Zum Boatsman hat sich also das EvoGrip S54 gesellt, ein feines Sackmesser, welches ich Euch nun vorstellen möchte. Wenn ich im folgenden von Victorinox und Wenger spreche, dann ist die
    ursprüngliche Herkunft des einzelnen Werkzeugs gemeint, denn:
    Wenger, thats history...


    Das S54 selbst gibt es schon eine ganze Weile, nun aber in der Victorinox-Neufassung. Es gehört mit seinen zehn Lagen klar zu den umfangreicheren Vertretern der Gattung Sackmesser. Wobei es mit gemessenen 45mm Dicke durchaus noch im Rahmen liegt, ich hab da auch dickere in der Vitrine.



    Hier neben einem Compact, das S54er gehört zur 84mm-Klasse, das Compact zur 91er.



    Was macht das S54 nun aber besonders?


    Wodas Boatsman ein definiertes maritimes Einsatzgebiet hat, da ist das S54 ein Allrounder. Klar kann man den Boatsman auch an Land prima nutzen, keine Frage, die Tool-Zusammenstellung zielt jedoch auch den wassernahen Einsatz.


    Beide teilen dich die Zwei-Komponenten-Griffschalen, hier natürlich in kleinerer Ausführung, aber mit genauso viel Griff, wie beim großen Bruder. Und mit Pinzette und Zahnstocher in der Vic-Version!


    Sauber und nahtlos gegossen die Schalen, so soll es sein.


    Weiter im zweiten Teil...

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  • Das S54 kommt mit den klassischen Grundwerkzeugen, Ahle, Korkenzieher, Kapselheber/Flaschenöffner, der ureigene Victorinox-Dosenöffner, große Klinge, kleine....


    Moment!


    Anders als bei Victorinox sonst üblich, gibt es hier keine kleine Klinge, sondern an deren Stelle eine Nagelfeile.
    Man kennt diese Sonderfälle beispielsweise vom Cadet oder dem Sportsman, auch da ist ja eine Nagelfeile verbaut.


    Finde ich gut gelöst, den eine Hauptklinge ist ja eh schon dabei und für den ursprünglichen Zweck, Stifte spitzen und Schreibfehler vom Papier kratzen, nutzt wohl kaum noch jemand seine Pen-Klinge.
    Vielleicht könnte man den Feilenhau noch ein, zwei Millimeter verlängern? Platz wäre meiner Ansicht nach da.


    So, und ab hier wird’s eigentlich erst richtig spannend.


    Das S54 kommt mit der Wenger-typischen Zange, welche nach dem Vorbild der Wasserpumpenzange gebaut ist, natürlich eine Nummer kleiner.


    Das hat den großen Vorzug, das man mit der Zange auch noch Schlossschrauben oder Muttern packen kann, bei denen die „alte“ Victorinox-Zange passen muß.



    Zusätzlich ist ein Drahtschneider eingebaut, man schiebt den Draht durch die Öffnung und schließt dann die Zange mit etwas Druck, fertig.
    Die Zange ist sauber genietet und läuft sehr leichtgängig, ohne Spiel im Gelenk.


    Anders als bei der Vic-Zange wird die Öffnung nicht über eine Feder, sondern über einen Hebel realisiert, der durch die gleiche Rückenfeder unter Spannung gehalten wird, wie die Zange selbst.
    Schlau ausgedacht und funktioniert bestens.


    Man sollte nur drauf achten, das man sie vor dem Einklappen wieder in die richtige Position bringt, sonst passiert das hier:


    Die Zange schließt eingeklappt halt nur dann richtig, wenn sie auf die kleine Maulstellung eingestellt ist.


    Der dritte Teil folgt sogleich....

  • Gleich in der nächsten Lage findet sich ein Maulschlüssel, der es mit Muttern und Bolzen von maximal 8mm Dicke aufnehmen kann.


    Der Schlüssel ist beschriftet, damit auch die korrekte Drehrichtung eingehalten wird, andernfalls klappt der Schlüssel halt ein.


    Kann aber gerne auch mal was anderes als eine Mutter oder Schraube sein, wie hier im Bild festgehalten:


    Klappt!



    Ebenfalls kein Problem...



    Na gut, kann ja nicht immer klappen. An diesem dreieckigen Verschluss findet sich kein Halt :)


    Gegenüber findet sich dann der Philips-Schraubendreher, zwar mit einem etwas kurz geratenen Schaft, wenn die Schraube aber nicht allzu tief liegt, kann man eine ganze Reihe an Schraubengrößen problemlos montieren.


    Ein etwas unfairer Vergleich, der Spirit-Philips, mit seinem S54-Pendant:


    Die Längenvorteile liegen hier klar beim Spirit, aber das baut auch entsprechend größer.


    Anders als bei den Philips bei Vic gibt es hier keinen 90°-Stop, auf Grund der Dicke des Tools kann man aber auch so genügend Drehmoment einsetzen, um auch festsitzenden Schrauben lösen zu können.



    Nachtrag:
    Wie ich eben erst festgestellt habe, arretiert der Philips-Schrauber wenn er zum schrauben unter Druck gesetzt wird per Nut im Heft, genau die der flache Schraubendreher. Er kann also nicht unabsichtlich einklappen, wenn er in Benutzung ist.
    Ich mir vorher nie aufgefallen....



    Nummer vier ist schon auf dem Wege...

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  • Die Schere.
    Quell leidenschaftlicher Diskussionen, Debatten und Dialoge...


    Die Wenger Schere ist zunächst einmal mit einem winzigen, wenn auch bissigen Wellenschliff versehen. Der eine sieht die Unmöglichkeit, sich damit der Maniküre hinzugeben, der andere ein durchwegs fest gepacktes und sauber durchtrenntes Schnittgut. Wenn auch mit leichter Riffelung am Rande... Wir kennen das Prinzip von Wellenschliff-Messern, sie bleiben per se erst mal länger scharf, haben bei glatten Schnitten aber auch so ihre Tücken.



    Mechanisch betrachtet finden wir hier wieder den besagten Hebel, der die Schere offen hält.


    Wer schon einmal eine gebrochene Scherenfeder getauscht hat, wird diese Variante zu schätzen wissen :)


    Nach der Schere kommt lagentechnisch betrachtet der Fischentschupper, samt Angelhakenzieher und Schnurfänger.


    Ich verwende den eigentlich nur zum Entfernen von Tackernadeln und die Spitze als provisorischen Stirnlochschlüssel.
    Bin halt nicht sooo der Fischesser...



    Das nächste Werkzeug ist eine Lupe, samt kleinem Schlitzschrauber, Lupe lupt:


    Schrauber schraubt ebenfalls :)


    Die Lupe ist vom Durchmesser her etwas kleiner ausgefallen, reicht aber meiner Meinung nach völlig aus.
    Die Linse ist übrigens, wie bei den neueren Explorern auch, nicht aus Glas, sondern aus Kunststoff.


    Völlig ok so.



    gleich gehts weiter!

  • Kommen wir zu zu den Sägen, sprich Holz- und Metallsäge. Ein kleiner Wermutstropfen, bei beiden sucht man den Nagelhau vergeblich. Man kann die Sägen einfach vorne an der leicht überstehenden Nase öffnen, gelegentlich erwische ich aber beide gleichzeitig. Wer große Finger hat, wird das wahrscheinlich reproduzieren können.


    Ich kann mich nicht entsinnen, das es je Grund zur Klage über die Sägen gab, weder bei Wenger noch bei Victorinox.
    Späne an den Zähnen sucht man hier übrigens vergeblich, die Säge kommt perfekt aus der Box.


    Wie üblich wird die Säge zum Rücken hin dünner, damit sie sich nicht im Schneidgut festfrisst.


    Sehr lobenswert ist die Metallsäge/Feile. Alle drei Seiten sind verwendbar, der Feilenhau ist auf voller Länge angebracht.


    Grade in beengten Arbeitsstellen ist das von immensem Vorteil, da man auch mit der Spitze gut Material abtragen kann. Soweit ich das beurteilen kann, ist der Hau übrigens auf allen Seiten gleich.


    Gefällt mir gut die Säge!
    Hier mit der Spirit-Schwester zu sehen.


    Das nächste Tool ist Neuland für mich.


    Nicht, das ich noch nie einen Kompass gesehen hätte, mitnichten.


    Ich rühme mich der Fähigkeit mit Kompass und Karte navigieren zu können, im Smartphone-“die nächste links, sie haben Ihr Ziel erreicht“-Zeitalter auch keine Selbstverständlichkeit mehr.
    Ich hab nur noch nie einen in einem Sackmesser eingebaut gehabt...



    Die Rückseite:


    Die Größe ist vergleichbar mit den bekannten Knopf-Kompass-Varianten.
    Ist er verlässlich?



    Aus meinen Jugendtagen habe ich einen Eschenbach Marschkompass, der hat mich immer sicher ans Ziel gebracht. Beide zeigen in die gleiche Richtung, sollte also passen.


    Die Rose ist drehbar, man kann also recht gut navigieren, ein Inch- und Zentimetermaß ist gleich mit aufgedruckt, damit man Entfernungen peilen kann.


    Zur grundsätzlichen Bedienung des Kompass legt Victorinox übrigens eine bebilderte und (meiner Meinung nach) leicht verständlichen Anleitung bei. Da hat jemand mitgedacht.
    Ohne Handy verlaufen sich die Leute heutzutage ja in ihrem eigenen Wohnzimmer...




    Einer geht noch, oder?

  • Ein großer Unterschied zu den „dicken“ Varianten aus dem ursprünglichen Victorinox-Repertoire ist das recht übersichtlich gehaltene Menü an Rückentools.



    Hier hat es Ahle und Korkenzieher (der übrigens auch den Vic-Mini-Schrauberndreher fasst).
    Wer die älteren SwissChamp noch kennt, da war das genauso. Hier ist für die Zukunft also noch Platz für Entwicklung.


    Das „S“ bei S54 steht übrigens für „Safety“, wir haben hier also eine verrigelnde Klinge vor uns.


    Technisch würde ich das mal als modifizierten Mid-Lock beschreiben wollen, die Rückenfeder greift in eine Nut am Klingenrücken und wird mittels Druck auf den mit „Lock“ beschrifteten Hebel entsperrt.







    Ein 95-Halfstopp sorgt hier für die nötige Sicherheit, das es einem nicht in die Finger beisst. Durch die Breite des Tools geht das ganz wunderbar, braucht aber ein klein wenig Übung.
    Die Klinge ist übrigens ein wenig bauchiger, als man das von den Ur-Victorinoxen kennt:





    Fazit:
    Wer auf Reisen ist, hat mit dem S54 einen soliden Grundstock an Werkzeugen bei sich, mit dem schon viel zu erledigen ist. Ersetzt es einen „normalen“ Werkzeugkasten?
    Natürlich nicht, soll es auch nicht.


    Ich bin mit der Auswahl der verbauten Werkzeuge sehr zufrieden, es steht meiner Meinung nach gleichauf mit dem SwissChamp, die Unterschiede bei der Tool-Zusammenstellung machen das S54 sehr interessant.


    Ob man nun zum SwissChamp oder zum S54 greift, das bleibt den persönlichen Präferenzen überlassen, wer den Luxus hat, beide zu besitzen wird mir wahrscheinlich zustimmen.



    Zu guter Letzt einige Impressionen:








    „No rope was harmed doing this shot...“, das war schon so :)





    Relax...




    Wie
    immer gilt, bei Fragen Fragen fragen!
    Danke fürs Lesen!

    2 Mal editiert, zuletzt von thehunt ()

  • Danke für das Review!


    Tolle Arbeit mit viel Mühe fürs Detail.


    Habe gleich meinen dicken Brummer aus der Schublade geholt und mal gereinigt. Bald steht der Urlaub an und ohne Scheizer Werkzeugkasten....geht garnicht!

  • Danke für die Mühe!


    Da krieg ich fast Lust eins zu kaufen.

    Diskutiere nicht mit Idioten! Zuerst ziehen sie dich auf ihr Niveau und dann schlagen sie dich mit Erfahrung.

  • Super! Aber nicht nur wegen dem sehr schönen Rückblick sondern wegen der fülle an sehr sehr schönen Fotos.
    Danke.

    Mit freundlichen Grüßen
    Wiesel eins

  • N'Abend thehunt


    Sehr ausführliches Review, mit viel liebe zum Details (klasse Fotos).
    :thumbup: :clap:



    LG


    Sacha


    PS:


    Bin schon auf den nächsten Schweizer gespannt.

    „Wenn du Frieden willst, redest du nicht mit deinen Freunden. Du redest mit deinen Feinden.“

  • Wirklich wieder sehr gelungen, wie Du den Werkzeugkasten beschrieben hast! Mal abgesehen von den Bildern, bei denen ich immer etwas neidisch werde, gefällt mir besonders der Vergleich zwischen Wenger und Victorinox. Bei dem vorgestellten Teil finde ich vor allem die Verriegelung der Klinge interessant.

  • Guten Morgen,
    da hast du dir aber wirklich Arbeit angetan. Sehr gute Review aber das Messer würde für mich nicht in Frage kommen.
    Gruß conan1106

    "Amicus certus in re incerta cernitur."
    In der Not erkennt man den wahren Freund.

  • Super review. Habe ich mit Enthusiasmus konsumiert.


    Gruß


    PS. Du bist der erste Mensch den ich sehe, der einen Eschenbach Marschkompass hat. Ich hab auch einen, seit 20-25 Jahren. Er funktioniert immer noch und diese Qualität habe ich bis heute bei keinem Hersteller gefunden. :D

  • Wow, das - und dein Review zum Boatsman - weckt wieder so richtig die Lust auf ein SAK... Danke für die Mühe und die tollen Impressionen!

    "Having a suitable light is analogous to being able to change the weather."
    --- Andy Stanford, Fight at Night

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