ESEE 6HM - Der Generalist


  • Die Faszination für Messer von ESEE begann bei mir schon vor vielen Jahren. Zu Beginn waren es zugegebenermaßen in erster Linie Optik und Image, die mich an diesen Werkzeugen begeisterte. Die Messer, die damals noch unter der Marke RAT (Randall’s Adventure Training) verkauft wurden, waren in aller Munde, was vermutlich nicht zuletzt dadurch begünstigt wurde, dass sich das Unternehmen bereits mit diversen Überlebenstrainings eine Reputation verschafft hatte. Ihre Messer galten als extrem robust und kommen noch heute mit einer uneingeschränkten Garantie. Einigen typischen ESEE-Charakteristika wie z.B. den weit verbreiteten Choils oder für mich gewöhnungsbedürftigen Griffformen konnte ich allerdings mit zunehmender Erfahrung im Messerbereich nur noch wenig abgewinnen.



    Zur Freude gleichgesinnter hat sich ESEE mittlerweile der Überarbeitung einiger Modelle angenommen und für mich äußerst interessante Neuauflagen ihrer Klassiker geschaffen. Über das ESEE 4HM, das einer dieser neuen Vertreter darstellt, habe ich meine Meinung bereits zu Papier bringen können. Ein tolles Messer, das für mich, verglichen mit dem ursprünglichen ESEE 4, hinsichtlich der Handlage und Funktion in einer ganz anderen Liga spielt. Wer wie ich etwas größere Klingen bevorzugt, wird vermutlich erfreut sein zu hören, dass es nun auch vom “6er” eine überarbeitete Version gibt. Diese war bereits in ähnlichem Design und in Kooperation mit einem bekannten Vertreter der Outdoor- und Bushcraft-Szene lange als DC6 angekündigt worden. Doch bevor diese Variante endlich den Markt erreichen konnte, verschwand das Modell wieder sang und klanglos in der Versenkung. Glücklicherweise hat ESEE die Idee jedoch nicht gänzlich eingestampft und mit dem ESEE 6HM (= handle modified) eine, dem DC6 sehr ähnliche Variante auf den Markt gebracht.



    Klinge, Griff und Unterschiede zum Vorgänger
    Analog zum 4HM, das man als verkleinerte Version des 6HM bezeichnen könnte, verzichteten Jeff Randall und Mike Perrin erneut auf einen Choil. Ein solcher stört mich zusehends, doch wäre er in diesem Fall noch unnötiger gewesen als ohnehin schon, da der Benutzer, auf Grund eines fehlenden Handschutzes, das Messer sehr kurz fassen kann. Auf die Daumenrampe wurde ebenfalls verzichtet. Der Griff erhielt erheblich dickere und stärker abgerundete Griffschalen. Zudem wurde die Griffform drastisch verändert, so dass sich insgesamt ein ganz neues Griffgefühl ergibt.



    Zu meinem Erstaunen fällt die Gesamtlänge des 6HM spürbar geringer aus, wenn man es mit dem regulären ESEE 6 vergleicht. Trotz effektiv gleicher Schneidenlänge ist die neue Version nun also ein wenig kompakter. Der Griff kann problemlos im hinteren Bereich gefasst werden, da er hier auch am meisten Volumen aufbringt, so dass das 6HM für leichtere Hackarbeiten zu gebrauchen ist (s. Video am Ende). Durch die leicht abgewinkelte Linienführung des Griffs wird dies zusätzlich begünstigt. Trotz kürzerer Gesamtlänge beim 6HM muss man hinsichtlich der Funktion keine Abstriche machen.
    Im Gegensatz zum 4HM, das eine identische Klingendicke mit sich bringt, fällt die Klingenhöhe des 6HM größer aus, wodurch ein weniger keilförmiger Klingenquerschnitt resultiert. Das macht das Messer insgesamt etwas schneidfreuiger als seinen kleinen Bruder.


    Scheide:
    Wie beim 4HM kommt auch das 6HM mit einer Scheide aus dickem Leder. Diese ist als Steckscheide konzipiert, verfügt über eine Gürtelschlaufe und wirkt, als könnten noch meine Urenkel daran Spaß haben. Ich muss wirklich sagen, dass ich von der Lederscheide fast genau so angetan bin wie vom Messer - und das kommt selten vor. Gleichermaßen war ich auch von der Scheide des 4HM begeistert, weshalb ich dem Leser weitere Lobeshymnen erspare.



    Daten:
    Klingenlänge: ca. 15,5
    Gesamtlänge: ca. 28 cm
    Klingenstärke: 5 mm
    Stahl: 1095 Kohlenstoffstahl @ 57 HRC
    Scheide: dickes, robstes Leder


    Fazit:
    Die Qualität und Verarbeitung des 6HMs, sowie seiner Lederscheide entsprechen dem bereits vorgestellten 4HM und sind sehr gut. Wie bei jedem Messer, das ich bisher in den Händen hielt, finde ich auch beim 6HM Dinge, die ich anders gemacht hätte. Zum einen ist der Klingenrücken am Übergang vom Griff zur Klinge zu nennen. Der pingelige Messerfreund sieht hier, dass der Anschliff zu tief ausgeführt wurde. Schaut man auf den Klingenrücken äußert sich das durch leichte Absätze auf der Höhe des Anschliffs. Natürlich sind hier keine nennenswerte Auswirkungen auf die Performance zu erwarten und insgesamt ist das Ausmaß des Versatzes wirklich recht gering. Wer auf solche Feinheiten allerdings wert legt, wird hier das Haar in der Suppe finden.



    Darüber hinaus könnte ESEE-typisch der Anschliff an der Schneidfase feiner ausfallen und die Klinge etwas höher gehärtet sein. Auch ist für mein persönliches Empfinden das Griffvolumen am Anfang des Griffs - wie schon beim 4HM - minimal zu gering. Die Eliminierung dieser vier kleineren Punkte würde das Messer für mich perfektionieren. Doch auch so hat ESEE ein meiner Ansicht nach wirklich hervorragendes Produkt entwickelt, das das Gros der Anwender begeistern dürfte. Das Messer steht jedenfalls auf meine Favoritenliste ganz oben.
    Obwohl das 6HM noch nicht lange in den USA erhältlich ist, kann man es bereits in Europa z.B. bei outdoormesser.de oder lamnia.com beziehen. Am Preis hat sich erfreulicherweise gegenüber dem Vorgänger nicht wirklich etwas verändert - und das trotz wertigerer Lederscheide und dickeren Griffen. Könnte ich mir aktuell nur ein feststehendes Messer aus Serienproduktion zulegen, wäre es mit großer Sicherheit das ESEE 6HM. Mehr muss meinerseits wohl nicht mehr gesagt werden!


    Zum Abschluss noch ein kleiner Clip als Experiment - für all diejenigen, die es gerne etwas episch mögen. Es ist mein erstes YouTube Video - man sehe es mir also nach, wenn noch Luft nach oben ist ;).

  • Hallo Xplicit86,


    ein schönes Review, hat Spaß gemacht zu lesen. Zumal ich die gleiche Meinung bzgl. Choil und Griff habe. Ich denke, der nicht allzu fein ausgeschliffene Anschliff und die nicht allzu hoch gehärtete Klinge sind der Garantie geschuldet. Hier wurde einfach etwas Sicherheit eingebaut. Nichtsdestotrotz ein gutes, praxistaugliches Messer.


    Danke für die Vorstellung!


    Viele Grüße
    Jan

    two is one - one is none

  • Stimme Jan zu, was Härte und Anschliff angeht.
    Den "Köpfen" hinter ESEE geht es um Praxisnutzen vor Datenblatt-Werten.
    Die Erfahrungen mit ihren Produkten werden stets auch mit den Erfahrungen abgeglichen, die sie in Süd- und Mittelamerika im eigenen Einsatz und bei der Beobachtung der dortigen Bevölkerung mit deren eigenen Werkzeugen gemacht haben.
    Mailaustausch mit den Machern zur Gestaltunge eines Haumessers war für mich vor einigen Jahren absolut überzeugend und erhellend, da sprach wirklich ganz nüchterne Praxiserfahrung und-beobachtung.


    Zum Griff: Der eher länglich-rechteckige Querschnitt der normalen Griffe brachte allerdings eine sehr gute Kontrolle zum Haltewinkel der Klinge / Position der Schneide und schützte vor "Rollen" bzw. schrägem Ansetzen. Bringt der ja nun eher runde und vorn recht dünne Griff noch diese Kontrolle?

  • Moin Freunde,


    ja natürlich habt ihr Recht damit, dass die Härte wohl auch der Garantie geschuldet ist. In diese Richtung habe ich ja auch schon im Bericht zum 4HM spekuliert. Es ist gewiss auch nicht so, als wäre die Schnitthaltigkeit bei ESEEs mit Dosenblech vergleichbar.


    @ Micha: Was die Härte angeht, kann ich deine Argumentation nachvollziehen. Jeff und Mike sind keine Rookies und wissen sicherlich, was sie tun. Es muss auch nicht für jeden eine 60+ Härte sein und letztlich sagt diese auch nicht viel über die Qualität der Wärmebehandlung aus. Ich habe Macheten von Tramontina mit eher geringer Härte und bin jedes mal erstaunt, wie lange sie trotzdem scharf bleiben. Nichtsdestotrotz lasse ich selbst meine Messer höher härten und hatte damit bisher nicht mal bei D2, der ja gerne als schnell "chippend" verschrien wird, Probleme. Nicht mal bei einem versehentlichen Schlag auf eine Betonkante.
    Was den Klingenquerschnitt angeht, sehe ich die Begründung mit "Praxisnutzen" allerdings nicht. Ein in der Nähe der Schneidfase dünnerer Ausschliff hätte den Praxisnutzen meiner Ansicht erhöht. Vielleicht gehöre ich aber auch eher zu den Vertretern, die ein Messer primär für das nutzen möchten, wofür es ursprünglich mal vorgesehen war. Andere werden dem Aspekt der Robustheit einen größeren Wert zurechnen.
    Der Griff ist meiner Erfahrung wahrscheinlich der Punkt am Messer, der subjektiver empfunden und bewertet wird, als alle anderen Komponenten. Ich habe schon dermaßen gegensätzliche Aussagen zu ein und demselben Griff gehört, dass es für mich vielleicht klüger wäre dazu gar nichts mehr zu schreiben. Persönlich kam ich mit dem Griff des ESEE 6 nicht zurecht, da er mir zu hoch war und nicht besonders gut in der Hand lag. Das hat sich für mich mit der Variante "HM" verbessert. DIe Gefahr des Rollens habe ich beim Testen nicht entdecken können. Der Griff ist wie du sagst natürlich flacher, dafür aber deutlich dicker, so dass er mir sehr gut liegt. Wie angesprochen dürfte er aber in den ersten 2-3 cm etwas höher ausfallen. Bei feinen Arbeiten fällt das aber nicht ins Gewicht. Wenn mehr Bums benötigt wird, greife ich sowieso weiter hinten am Griff.
    Hoffe etwas mehr Klarheit verschafft zu haben. Bei Interesse würde ich das Messer einfach mal in die Hand nehmen. Das sagt mehr als 1000 Worte :thumbup: .

  • Hallo zusammen.
    Genau das von Micha angesprochene Problem interessiert mich auch. Ich glaube ich hatte im Thread zum 4er schon sowas geschrieben.
    Mit dem alten 6er hab ich mir, trotz guter Kontrolle , mal eine ordentliche Blase in die Hand gearbeitet. Da wirkt der neue Griff wesentlich komfortabler!
    Nur eben hoffentlich nicht zum Nachteil der Kontrollierbarkeit!
    Erfahrungen dazu bitte Posten.
    Gruß Eiserner


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  • Interessantes Messer,gefällt mir. Danke für´s vorstellen ! :thumbup:


    Die Klingenstärke finde ich ganz ok; für ein Outdoormesser dieser Grösse ist das nicht zu fett. Für feinere Arbeiten hat man ( bwz. wir :D ) sowieso ein kleineres Messer dabei.


    Bei den Griffen gefällt mir persönlich die alte Form besser; zum einen,weil ich grosse Hände hab - zum anderen hat man bei den grossen Griffschalen auch die Möglichkeit,diese mittels Schleifpapier an die eigene Hand anzupassen.

  • xpllicit, sehr differenzierte Antwort :thumbup:


    Der Griff wird ein wenig weiter hinten in der Hand dann ja auch deutlich ovaler im Querschnitt, also dürfte Kontrolle / Rollen kaum ein Problem werden. Persönlich komm ich auch mit kleinem Griffquerschnitt zurecht, bis herunter zu den Spikes.

  • Danke Micha!
    Zum Griff, den Eiserner und rumpeltroll nochmal angesprochen haben, kann ich nur erneut sagen, dass hier die Empfindungen - teilweise sogar unabhängig von der Handgröße - einfach sehr individuell ausfallen. Bei Messern, die ich selbst herstelle empfinde ich es auch heute noch, nach über 10 Jahren, als große Herausforderung, die richtige Griffform auszuloten - und das nur für meine eigenen Griffel. Da machen teilweise Nuancen sehr viel aus. Wenn euch die Messer der HM Serie interessieren, probiert sie aus. Man kann sicher mutmaßen aber nur übers Ausprobieren findet man wirklich heraus, ob einem der Griff taugt oder nicht. Ich komm sehr gut damit klar, jemand anderes vielleicht nicht. Ist das selbe bei Hosen, Frauen, etc. :-D.

  • @ xplicit86: Du hattest mich mit deiner Antwort überholt.
    Hab ich zu spät gesehen, deine erste Antwort war schon sehr ausführlich und nachvollziehbar, danke dafür!
    Gruß Eiserner


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