„Striders Oppa“ – British MOD Pattern Survival Knife, ein Ahnherr der „scharfen Brechstangen“

  • Ein ganz kurzer Blick auf einen Klassiker, der gestern in meinem Bestand aufgenommen wurde.




    „Scharfe Brechstangen“ sind nun wirklich nicht jedermanns Sache, ich weiß.
    Meistens liebt oder hasst man schon den Grundgedanken, eine „Schneidware“ so unkaputtbar zu bauen, daß man damit alle möglichen, vor allem aber unmöglichen Sachen anstellen kann, dafür aber zumindest aus dem Blickwinkel der Sashimi-Fraktion nicht mehr „so richtig“ schneiden….


    Schneidteufel-Fans, bitte weiterblättern, das hier ist eher weniger was für Euch....Ihr fahrt mit einem kleinen scharfen Messer und einem Brecheisen auf jeden Fall subjektiv besser. Im beruflichen Einsatzbereich habe auch ich irgendwann meine Ausrüstung differenziert, und ich gebe zu, das hat durchaus auch seine Vorteile.


    Andererseits kann ich mich aber auch noch mit der Idee „Eins für alles“ anfreunden, und da sind wir eben bei einem Outdoor- und Notfall-Tool, mit dem man auch graben, hebeln, hämmern und sonstigen beschimpfenden Unsinn anstellen kann – so ein „Messer für die Insel“ eben, wo man keine differenzierte Ausrüstung zur Verfügung hat.


    Denken die modernen Fans solcher Lösungen an so eine scharfe Brechstange, assoziieren sie das meist mit modernen Namen wie Strider, Trident Crusader Forge, Ranger Knives, Extrema Ratio, Becker….Viertelzoll, allenfalls halbhoher Anschliff, sehr sparsam im Finish und Design, dafür so unzerstörbar wie die menschliche Dummheit (vor allem meine eigene) und mein Übergewicht…
    Und natürlich bauen die alle auch so etwas, und gut dazu, viele davon sind mir in den letzten 15 Jahren durch die Hände gegangen, und ich mag diesen Lösungsansatz immer noch.



    (Hier zwischen einem Becker BK-9, immer noch für mich einer der absoluten Favoriten in diesem Bereich, und einem Buck-Strider ML, mit etwas mehr als Viertelzoll auch hinlänglich üppig und mit wunderbar scharfem 420HC)


    Aber erfunden habe es eben weder US-amerikanische Eliteninjaseals noch italienische Ex-Piloten, die Idee ist viel älter, und einer der bekannten Ahnherrn im militärischen Bereich der ultrarobusten Überlebensmesser ist das British MOD Pattern Survival Knife.

  • Hier mal mit einem Blick auf Angebot und Specs:


    https://eur.heinnie.com/john-nowill-british-pattern-survival-knife


    Und nach dem Brexit vielleicht besser von hier:


    https://www.wolfster.de/index.php?disp=shop&show=46/0/SHE004



    Die klassische Variante davon hat keine Polycarbonat-Griffschalen, sondern welche aus braunem Holz, mit übergroßen Nieten am Full Tang befestigt.


    https://eur.heinnie.com/john-nowill-survival-knife


    Die Idee dahinter ist offenbar ähnlich der bei den klassischen John-Ek-Modellen: Lockert sich im Feld eine Griffschale, kann man die riesigen weichen Niete aus Messing oder Blei selbst mit primitiven Feldmitteln ohne spezielles Werkzeug festkloppen..


    Diese Messer werden seit Jahrzehnten gefertigt und waren und sind offizielle Ausrüstungsgegenstände der britischen Streitkräfte, der Zahlencode ist der NSN, die NATO-Versorgungsnummer, und MOD steht hier nicht für die Masters of Defense aus den USA mit ihren sehr schönen Messern (z.B. eben den Dieter-Foldern und Fixed), sondern für das britische Verteidigungsministerium, das Ministry of Defence. Dafür steht auch das kleine Zeichen, das an eine Pfeilspitze erinnert.
    Übrigens bei diesem schönen Stück her eine sehr passende Referenz auf den technischen Stand…


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    Die Messer werden ziemlich unverändert seit vielen Jahrzehnten von mehreren britischen Herstellern in Sheffield gefertigt, dieses hier ist von J.Adams, unter dessen Dach auch die Fa. John Nowill angesiedelt ist, wo man immerhin seit dem Jahr 1700 praktische Schneidwaren herstellt.


    Sheffield Knives


    (Wenn ich in das Angebot schaue, möchte ich am liebsten sofort noch ein 2nd Pattern FS kaufen …)



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    (Das Survival Messer neben einem Israeli Commando Knife, ebenfalls von John Nowill für IDF gefertigt, auch so ein schönes altmodisches Ding, das in der Hand richtig Freude macht)


    Urahn ist das seinerzeit von Wilkinson hergestellte Typ D Survival Knife, entworfen für und ausgegeben an britische Spezialeinheiten vor allem, wobei „entworfen“ hier schon eine anspruchsvolle Umschreibung dafür ist, so etwas wie ein grobschlächtiges Landsknechtsmesser als Plus-Size-Model nach 300 Jahren eben noch mal auf den Markt zu bringen…Denn so etwa müssen die Allzweckzachel meiner Ahnen von der Insel ausgeschaut haben, als die irgendwann so um 1630 hierher zu Besuch kamen, um deutsche Landsknechte zu erschlagen und Bauern auszuplündern…


    Type D Survival Knife



    Grundidee dieses Messers ist es, ein grobes Werkzeug in noch halbwegs kompakten Abmaßen anzubieten, mit dem man schneiden aber auch alles andere an Werkzeuganwendungen durchführen kann, ohne daß es kaputt geht - unersetzbar, wie es in einer Einsatzsituation weitab von Nachschub oder in einer Survival-Situation eben sein kann.
    Es soll mit einfachsten Mitteln nachschärfbar sein, sowas die die Wieder-Befestigung gelockerter Schalen notfalls selbst mit einem Stein kommt dann auch sehr gut. Und der Stahl soll so elastisch sein, daß das Messer keinesfalls abbricht. Billig sollte es als Truppen-Ausstattung freilich auch sein, und so hat man sowohl aus einer zen-gleichen Konzentration aufs Praktische als auch schnöde aus Kostengründen jeden Gedanken an hübsches Finish gar nicht erst aufkommen lassen.


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    (Daneben ein Fairbairn-Sykes von Reg Cooper, altgeworden und vermackt und abgegrabbelt von und gemeinsam mit mir)

  • Gentlemen, das habt Ihr geschafft….


    Das Messer besteht aus knapp viertelzölligem 1050er Kohlenstoffstahl, aus sowas macht man ansonsten heutzutage vielleicht noch Macheten, während Freunde des PM-Hypes natürlich sofort Schüttelfrost und Ekelpickel bekommen. Das wird nicht brechen, und nur darauf kam und kommt es hier an…
    Beschichtet ist es mit einer haltbar wirkenden Phosphatierung, so wie die alten Ontario-M3-Trench-Knives und andere alte Messer für den Truppen-Gebrauch.


    Die Schalen bestehen bei diesem Modell hier aus einem Polycarbonat, ich hatte schon an Bakelit gedacht. Schauen wir mal, ob ich da zeitlebens noch Schäden feststellen werde..


    Das Messer hat 7 Zoll Klingenlänge und ist einigermaßen vorderlastig, damit man trotz der begrenzten Länge damit guten Impact beim Hacken erzielt.


    Insofern ist das Messer nicht nur einer der Ahnherrn der „scharfen Brechstangen“, sondern auch der Klasse der Tracker.




    Die dralle Rustikale ist so gewichtig, wie sie ausschaut – netto knapp 600 g, mit Scheide etwas unter 700. Wie gesagt, man liebt oder hasst so etwas.
    Man muß das ja tragen, schlimmstenfalls lange und weit, aber man hat andererseits ein ziemlich universal verwendbares Tool, das mit Macht da aufkommt, wo man es draufbuffeln will.


    Die Scheide hat Nowill-übliches Rummelplatzniveau. Wie ein Land, das für Chesterfield-Möbel, phantastische Sättel, Fliegerlederjacken und Maßschuhe berühmt ist, seine Messer so einkleiden kann, werde ich nie begreifen. Auch die Passform ist „poor“
    Wenns nicht um den Romantik-Aspekt geht, kann man das Messer aber auch anders und modern einkleiden.




    Ich war mit dem „Messerchen“ noch nicht im Wald, muß aber gestehen, daß mir das dralle Ding so einfach beim Begrabbeln sowohl optisch als auch haptisch schon ziemlichen Spaß macht, Romantiker, der ich bin. Es ist mäßig „scharf“, über den Lieferzustand wurde so aber auch schon sehr oft berichtet. Ich werds halt noch ein wenig nachschärfen lassen, im Rahmen des Anforderungsprofils.


    In den bisherigen Reviews ist es alles andere als eine Integrationsfigur und polarisiert offenbar, auch sowas ist mir nicht unbekannt....
    Entweder das Messer für die Insel, dem man bei jedem Unfug sein Leben anvertrauen kann - oder leistenbrucherzeugender Schwerindustrie-Schrott, den nicht mal osteuropäische Metalldiebe klauen würden.....


    So hübsch wie ich, so schwer wie ein T-Träger, grobschlächtig gemacht wie eilig in ner Dorfschmiede aus dem Vollen gekloppt, irgendwie aus der Zeit gefallen (Hauptsache: nicht auf meinen Fuß!!). Und voller Charme irgendwie - ich grins so fett wie das Ding ausschaut.


    Wenn ich damit mal ein wenig draußen gespielt hab, berichte ich weiter.

  • Guten Abend Micha


    Sehr schön geschrieben, nicht steif, sondern mit einer Prise englischer Humor. :D ;)
    Wusste gar nicht, dass dieses Messer, ein Vorbild für andere war.



    LG


    Sacha


    P.S: Jetzt fehlt nur noch Fish and Chips. ;)

    „Wenn du Frieden willst, redest du nicht mit deinen Freunden. Du redest mit deinen Feinden.“

  • Sehr schöne Vorstellung eines praktischen, aber in meinen Augen auch äußerst häßlichen Entleins... dagegen ist das Täterä eine wahre Augenfreude. :thumbup:
    Danke dafür... die Version mit den Holzgriffschalen sieht zumindest optisch besser aus. Als Werkzeug für alles aber sicherlich ein brauchbares Ding.... mal vom Schneiden abgesehen. :D
    Gruß Merc

    People are tribal. The more settled things are, the bigger the tribes can be. The churn comes, and the tribes get small again.
    IG: @mgph.edc

  • Vielen Dank für die wie immer sehr kurzweilige Vorstellung eines wie ich finde sehr schönen Messers... :love:


    Ich finde so scharfe Brechstangen haben Ihren sehr eigenen Charme. Du magst die dicken Dinger oder nicht...Aber gerade in Bezug auf ein Werkzeug für alles sind so große schwere Messer bei mir ganz vorne dabei... :thumbup:

  • Moin Micha.
    Komme aus dem Grinsen gar nicht raus.....sehr erfrischend am Morgen....Danke!


    Genau mein Beuteschema....wofür auch immer.

    Gruß George
    Sabbel nich, datt geit...

  • Danke fürs Lob! :)


    Benötigen: Natürlich relativiert sich das in unseren normalen Anwendungssituationen schon SEHR.
    Man nimmts vielleicht aus Liebhaberei mal mit in den Wald, den man dann aber meist zivilisationsnah am gleichen Tag wieder verläßt. Aber als Camp Knife ist so etwas schon wirklich sehr brauchbar!
    Und unstreitig spielt hier natürlich auch ein gewisser Romantik-Aspekt mit, wie bei vielen anderen Messern auch, die wir aus Liebhaberei sammeln und allenfalls mal an den Rändern der Möglichkeiten kratzen. Ist bei meinen Fightern eindeutig auch viel besser so :)


    Das urwüchsig-rustikal-altmodische Ding bedient natürlich den Romantik-Faktor sehr gut, mit viel Historie im Rücken und dem Erscheinungsbild, das doch mehr nach "Mann der Tat" ausschaut als nach "Mann mit Vitrine", selbst wenns da hinterher dann doch noch als dekorativ oder zumindest skurril genug angesehen wird, um seinen Platz darin zu finden.


    Bei einer vernünftigen Gesetzgebung, die dem unbescholtenen Bürger vertraut, statt hysterische Befindlichkeiten zu bedienen, läge so etwas (in Konkurrenz vielleicht zu einem Becker Tac Tool) wohl wieder in meinem Auto.....als Universal- und Notfallwerkzeug in etwa so, wie viele Osteuropäer ein alts Kashi-Bajonett im Kofferraum spazierenfahren, ohne Böses damit im Sinn zu haben.


    Das Messer kommt, wie die Links schon verraten, von Heinnie, meine erste Bestellung dort, und das ist eigentlich schade - denn der Service und die Abwicklung und Kommunikation waren bestens!


    Die unendliche Frage, ob das nun die bessere Lösung sein kann als eine Kombi aus schneidstarkem Messer und Beil, beantwortet selbstverständlich auch dieses Messer nicht. Da wird jeder für sein spezifisches Anforderungsspektrum SEINE Lösung finden müssen.
    Mancher denkt da mit der Zeit sogar um oder zieht zumindest beides in Betracht:
    Geronimo, früher glühender Verfechter der differenzierenden Lösung, verwendet heute auch große Camp Knives; ich als früher "alternativloser" Verfechter der One-Tool-Lösung habe im Dienst differnziert zwischen mehr Schneid- und Penetrationsleistung beim Messer und einem Beitel-Tool fürs Hebeln und Aufstemmen (und hab ja jetzt - wenn auch mit einem Seitenblick auf befürchteten Rechts-Unfug - mal als Ergänzung zum Wandermesser das "anlasslose Beilchen" in den Fokus genommen).


    Kann man aber nur wirklich wenige Teile mitnehmen, ist das Camp/Field-Knive zumindest immer noch ein nicht abwegiger Ansatz, der ja auch immer noch weit überwiegend z.B. auch im Bereich militärischer Ausrüstung so verfolgt wird.

    2 Mal editiert, zuletzt von Micha M. ()

  • Das mit den Holzgriffschalen hatte ich gegen Anfang des zweiten Beitrags angemerkt und verlinkt, konnte aber kein eigenes Bild zeigen :)


    Und ich teile die Einschätzung: Das ist ein Messer, das die Geister scheidet, und keine Integrationsfigur.


    Die Idee hinter der Scheiden- "Richtung" ist wohl, das Messer am Koppel auf der anderen Seite als eine Kurzwaffe zu tragen, die ja mehrheitlich rechts geführt wird. Oder man trägt es rechts höher am Gürtel mit der Schneide nach vorn - so trage ich ja tatsächlich häufiger solche Messer.




    Oder es unterstreicht die Idee, die Scheide möglichst rasch zur Seite zu legen und sich eine gescheite zu besorgen :)

    3 Mal editiert, zuletzt von Micha M. ()

  • Hier mal ein Beispiel für die technische und ästhetische Überlegenheit britischer High-Tech:



    Man kann da natürlich auch gaaaaanz langweilig vorgehen und einfach Parierelement, Griff und Klinge aus einem Stück vollen Materials rausdröseln wie bei Reeve früher, damit nix rappelt....Klaaar wenn einem nix einfällt, das fest zu bekommen :)


    Oder man manscht da rundherum mit Hartlot herum wie bei Randall....


    Die Briten lösen das natürlich so gelassen wie überlegen, die schieben das PE auf den Erl und - my dear! - setzen dann ganz souverän einfach 2 Schweißpunkte dahinter und erzielen neben Wackelfreiheit gleich auch noch einen sehr dekorativen Ziereffekt durch die hübschen blanken beiden Punkte..... :D

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