Nachträgliche Umrüstung auf Öffnungs-Wave - Idox-Tuning für zwei Tactical-Backlocks

  • Wir möchten Euch heute ein kleines Projekt vorstellen, das einer Fachsimpelei zwischen Idox und mir entstanden ist.
    Wir unterhalten uns gern über Gestaltungsfragen bei Messern; manches hab ich irgendwo schon mal ähnlich gesehen, und Idox hat dann sogar das handwerkliche Geschick, gemeinsam Ausgeknobeltes auch noch umzusetzen….


    Thema des letzten gemeinsamen Brainstormings war der Öffnungs-Haken an Foldern, der gemeinhin als Emerson-Wave bekannt ist, mittlerweile aber auch bei diversen Modellen anderer Marken seine Anwendung findet.



    Hier: Emerson und Kershaw-Emerson mit dem typischen Haken, meist relativ klein im Vergleich und meist mit einer geraden Zugbewegung mit einem rechtwinklig über dem Klingenrücken stehenden Haken-Bereich



    Der Wave-Haken ist eine Öffnungshilfe, mit der man (meist am Taschensaum der eigenen Hosen- oder Jackentasche) einen Folder schon im Ziehvorgang öffnen kann, indem sich der Haken am Saumrand festlegt und die Klinge dadurch im Ziehen aufgezogen wird – das nur mal, um die Sache systematisch aufzubauen…


    Das hat diverse Vorteile. Wesentlich kann die Zeitersparnis sein. Weiterhin wird argumentiert, das Abnehmen des Öffnens durch den Zugvorgang entlaste das weitere Aufmerksamkeits- und Aktionskonto des Anwenders um kostbares Potenzial in Stressphasen.
    Ein anderer Vorteil ist eher ein mechanischer: Beim Öffnen aus einer Reversehaltung sind sonstige Öffnungshilfen wie Flipper oder Thumbstud einfach auf der falschen Seite, nämlich der Kleinfingerseite, und nützen dort wenig bis nichts. Für Messer wie REKs/Pikals, Karambits usw. ist daher der Wave eine besonders spannende Unterstützung, aber auch bei anderen reverse gezogenen Foldern.
    Nicht ganz ausblenden sollte man aber die vorsichtige Erwägung, daß beim Öffnen „Nummer sicher“ auch der bessere Weg sein kann – so gibt es in der Messer-SV auch Experten, die bei Thumbstuds das komplette Begleiten mit dem Daumen dem Aufschwingen dringend vorziehen oder sogar selbst im Stress das beidhändige Öffnen als sicherer präferieren.
    Ein unbemerkt lediglich teilgeöffnetes Messer oder gar ein noch gänzlich geschlossenes bei einem misslungenen Öffnungsvorgang sind in der Tat möglicherweise folgenreich mehr als peinlich….


    Will man aber Öffnungshilfen grundsätzlich nutzen, ist jedenfalls der Öffnungshaken eine bequeme und interessante Variante. Und dann wird man eben z.B. nach Messern wie den Emersons schauen – oder nach anderen Wave-untertützten Foldern…


    Das können dann Modelle wie das hochinteressante Viper Maga sein, das diverse Öffnungshilfen alternativ anbietet, neben einem Flipper auch eine Kombi aus seitlicher Daumen-Öffnungshilfe und großem Öffnungs-Haken



    Das funktioniert tatsächlich sowohl forward wie reverse ausgezeichnet, was sehr gut unterstützt, das Messer bedarfs- und vorliebenweise sozusagen gleichwertig aus beiden Positionen zu ziehen und zu führen.


    Ähnlich wie bei Emerson funktioniert es beim NOKS Mangust-M nach einem Entwurf von Igor Skrilev, der sich viele nützliche Dinge abgeschaut hat auf der Welt und dann umgesetzt in sehr anwendungsorientierten Gestaltungen, die aber nicht unbedingt immer den Ästheten so begeistern würden wie uns als Anwender. Ich liebe die Dinger – auch den Tanto-Panzer mit Thumbstud, Flipper UND großzügig dimensioniertem Öffnungs-Haken.
    Das vergleichsweise sehr preisgünstige Messer verdrängt sehr häufig bei mir insbesondere im professionellen Bereich weitaus teurere Mitbewerber…
    Auch beim Mangust-M sehen wir einen geraden Rücken und einen rechtwinklig darüber aufragenden Haken-Bereich….




    Etwas anders gelöst hat es der pfiffige Skrilev beim Mangust-K, einem weiteren Lieblingsfolder von mir, meist im Mangusten-Duo mit dem Unimog-Tanto-Folder gleichen Namens…



    Hier wird der Taschensaum eher diagonal im Zugvorgang in ein relativ großes Loch gezogen, um das sich der Öffnungs-Haken biegt, der Rücken bleibt dabei relativ hoch und gerundet – und auch das funktioniert dann in der Praxis so sicher wie die geraden Lösungen, vielleicht sogar sicherer.


    Beide Messer verwende ich in unseren Workshops und ziehe sie beiläufig, und die Leute im Auditorium würden sontwas wetten, es handele sich entweder um Fixed oder um Springmesser. Nur könnte man auch Springmesser nur schlecht aus der Reverse-Haltung so öffnen. Langsames Wiederholen bringt dann meist ein erstauntes „Oooh!“….


    Auch Spyderco und ZT z.B. haben Modelle mit Wave – gehen dabei aber meist den Emerson-Weg eines geraden Rückens. Bei den Spydies kommt dabei zuweilen eine Gestaltung heraus, die ich wenig ansprechend finde und die die Konzeption der Klinge einigermaßen verändert.

  • Hier soll es aber nicht um fertig mit Wave angelieferte Serienmesser gehen, sondern um den Umbau von Modellen, die ursprünglich eben keinen hatten…
    Bekannt sind da seit vielen Jahren diverse Lösungen, die meist möglichst wenig Umbau des Messers anstreben.
    Bekannt sind z.B. „Ghetto-Waves“, insbesondere unter Verwendung der auch von mir geliebten kleinen Kabelbinder. Schnell gemacht, billig, kein Werkzeugeinsatz notwendig, reversibel – und es funktioniert durchaus. Das wollen wir also hier gar nicht verwerfen!


    Eine andere Möglichkeit können kleine Anbau-Sets sein, die man mittlerweile bekommen und am jeweiligen Thumb-Stud anschrauben oder diesen durch eine kleine Scheibe mit ausgildetem Haken ersetzen kann.
    Auch das habe ich schon sehr gut umgesetzt gesehen.


    Aber auch ein nachträglicher Umbau ist kein „Hexenwerk“. Öööh, für mich schon, für Idox aber nicht….
    Nach längerem Fachsimpeln über mögliche „beispielhafte“ Modelle, richtige Winkel usw. haben wir zwei Modelle ausgewählt, die unterschiedliche Ansätze zuließen:


    - auf dem „Emerson-Weg“ ein RBB von mir, ein Modell einer Collectors-Sonderserie mit VG-10 Klinge


    - und einen Spyderco-Police-Klon als Bastelgrundlage mit tolerablem Totalverlust und aus jahrelangem Altbestand, bei dem der (nennen wir es…) Skrilev-Weg mit dem Diagonalschlitz verfolgt werden sollte.


    Beide Messer sind Backlocks mit deutlich höherem Öffnungswiderstand als die meisten Linerlock-Emersons. Also stellte sich auch grundsätzlich die Frage, ob der Wave sich auch für diese Modelle eignet. Positive Erfahrungen anderer Anwender z.B. mit einem „Ghetto-Wave-RBB“ haben uns aber Mut gemacht!


    Also ging Idox beherzt ans Werk:







    Man sieht schon, daß nicht übermäßig viel verändert wurde und er auch immer ausprobiert hat, ob das dann ausreicht, den Taschensaum später hinreichend einzuziehen und sich festzulegen….

  • Hier zunächst das Ergebnis beim RBB, ebenfalls wie gesagt mit geradem Rücken und nach dem Öffnen des darüber gewölbten bereits gelochten „Buckels“ von der Frontseite her mit einem zum Rücken wie bei Emerson winklig aufragenden Haken-Bereichs etwa in der Größe eines Standard-Emersons…






    Das Messer verhält sich im Zug sehr ähnlich wie ein Serien-Emerson. Wie bei diesem sollte man nicht ohne Sinn und Verstand an dem Ding reißen, um ein Übergleiten des begrenzt großen Hakens über den Saumrand zu vermeiden. Erfahrungsgemäß ist nicht der unterste Taschenwinkel direkt am Ansatz des Saums ans Bein die beste Stelle, sondern ein leichtes Verdrehen und Einhaken rechtwinklig gegen den Saum.
    Ein Lanyard erleichtert dabei das Erfassen und den Beginn des Ziehvorgangs des tief sitzenden Messers.
    Wenn man das Lanyard dabei nicht mit Daumen und Zeigefinger fasst, sondern zwischen Handfläche und den unteren beiden Fingern, zieht man dabei den Griff in die Hand.


    Bei den bisherigen Versuchen von Idox und mir stand das RBB nach diesem Tuning einem Serien-Emerson nicht nach, wenn man sich ein wenig auf den Ziehvorgang eingependelt hat und nicht zu rasch zieht, jedoch auch so beherzt, daß man den größeren Öffnungswiderstand auf jeden Fall überwindet. Das spielt sich ein!
    Es kann dabei ein Vorteil sein, wenn man sich angewöhnt, aus dem Gelenk auf jeden Fall noch mal ein wenig nachzuschwingen, um schlimmstenfalls eine nicht hundertprozentige Öffnung durch Aufziehen zu vollenden, das gilt für ALLE Waves…

  • Dem Skrilev-Weg folgt das „Spyderco“, dessen Rückengestaltung und großes Öffnungsloch diese Analogie geradezu aufdrängt.


    Und hier wurde dann eben nicht der Rücken begradigt, das würde den Charakter des Messers auch einigermaßen grundlegend verändern.


    Vielmehr wurde, man sieht es schon auf den Bildern von Idox‘ Bearbeitung, im Bereich schräg vor dem Öffnungsloch halbrund ein Stück des Rückens abgetragen, gerade soviel, daß der Taschensaum so sicher in den Schlitz und das Öffnungsloch eingezogen wird wie beim „Vorbild“ Mangust-K


    Notwendig war hier allerdings auch noch zusätzlich die Umrüstung auf Tipup-Carry....zumindest bei diesem konkreten Modell war da nur Tipdown vorgesehen, mit dem sich das Aufziehen ja eher nicht realisieren läßt...





    Und auch das funktioniert!






    Das gilt auch für das angesprochene Ziehen aus dem Reverse-Griff:



    Also alles andere als ein Totalverlust – vielmehr eine deutliche Aufwertung.


    Denn in beiden Fällen haben sich ansonsten ja die Funktionalitäten nicht verändert oder verschlechtert, auch das Öffnungsloch bleibt voll nutzbar.


    Bei Idox möchte ich mich doppelt bedanken:
    Für das Dazulernen beim gemeinsamen Fachsimpeln und natürlich jetzt auch ganz „dicke“ dafür, die erfolgreichen Ergebnisse der Versuche nun nutzen zu können!

  • Schöne Mods. Tolle Umsetzung. :thumbup:

    People are tribal. The more settled things are, the bigger the tribes can be. The churn comes, and the tribes get small again.
    IG: @mgph.edc

  • Die Daumenscheibe ist ja bei den Emersons auch vorhanden.
    Auch die spricht aber dafür, das Messer ein wenig gegen den Taschensaum zu verdrehen, wenn man es zieht, statt es sozusagen "in der Ecke" aufzuziehen. Die Scheibe wirkt sich ja umso weniger durch Abdrücken des Saums aus, je näher man an einen 90 Grad - Winkel kommt.


    Mit dem "Demko-Wave" hab ich keine eigenen Erfahrungen, das passt aber sehr gut hierher, und jeder entsprechende CS-Besitzer ist eingeladen, seine Erfahrungen beizusteuern! :)

  • Ich muss ehrlich gestehen das ich kein fan von den waves bin. Ich hatte auch mal ein Messer mit, das funktionierte mal ja mal nein. Mir persönlich zu unsicher im Fall der Fälle. Da verlasse ich mich lieber auf mein Fingergeschick. :D
    Wenn du das Messer ziehst muss die Klinge stehen, bleibst du dann am Taschensaum hängen oder die Klinge öffnet nur halb bist du der Dumme.

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  • Geht mir ähnlich. Ich habe nur zwei Spyderco Matriarch mit Wave und finde das Handling befremdlich. Das Messer wissentlich zu ziehen ist tatsächlich phantastisch, da ganz nah am Automatic. Bin allerdings schon öfter damit vom Gassi gekommen, wollte das Messer wegpacken und hatte es halboffen oder offen in der Hand, was geistesabwesend beim Matriarch wirklich kein Spaß ist. Es ist IMHO eine Funktion, bei der man sich immer (immer) vollends bewusst sein muss, dass man beim Ziehen eine offene Klinge in der Hand hat.


    Das entspricht nicht meinem Denken und Handeln. Dafür bin ich ob des Alters einfach zu gedankenverloren. Es ist mir zu unsicher. Nichts desto trotz finde ich das Modding gerade beim typischen Spydie Hole absolut genial. Als wäre das Thumbhole dafür gemacht.


    Den Spaß würde ich mir ungeachtet des Respekts vor der schieren Funktion tatsächlich gerne mal bei einem Spyderco Military oder Para 2 gönnen.


    Hut ab jedenfalls für das Knoffhoff und die handwerkliche Umsetzung.

  • WIR haben nur darüber geplaudert und uns was überlegt - umgesetzt hats Idox :)
    Da will ich seinen handwerklichen Verdienst auf keinen Fall schmälern - ich würde das nicht hinkriegen.


    Was die Bedenken wegen des Öffnungsvorgangs angeht, hatte ich die ja auch selbst schon ausdrücklich erwähnt und willl sie auch gar nicht kleinreden.
    Am Ende muß jeder eintscheiden, ob er sich darauf einlassen will. Ohne ein wenig Übung sollte man es auf keinen Fall tun.
    Bei Forward-Haltungen kann man sich fragen, ob der Zeitgewinn immer sein muß.
    Besonders spannend aber finde ich den Wave beim Ziehen in der Reverse-Haltung. Dafür sind andere Öffnungshilfen eben irgendwie nicht gemacht....

  • Das Spyderco finde ich verschandelt, dazu noch ein klassisches Police. Das ist aber rein optisch und höchst emotionsl subjektiv. Aber clever, Form follows Function.
    Für normalsterbliche Deutsche in der Öffentlichkeit keine Option (rettet einigen Spinnen das runde Öffnungsloch).


    Böker ... interessant, wirkt aber klein. Wenns zuverlässig funktioniert, umso besser.

    Die TF Sucht ist zu Ende!

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  • Hallo Micha


    Wieder ein interessantes Thema, gekonnt umgesetzt. :thumbup:
    Die gewählten Modelle, sind von Jan hanwerklich sauber überarbeitet worden. :thumbup:


    LG


    Sacha

    „Wenn du Frieden willst, redest du nicht mit deinen Freunden. Du redest mit deinen Feinden.“

  • Wobei das Existieren der Emerson Wave Öffnung laut Ernest selbst ein komplett unbeabsichtigter Zufall war. Sollte ursprünglich nur ein kleines Parrierelement sein. So kams überraschend zum bekannten Nebeneffekt. Wird bestimmt nichts Neues für die meisten Wave Fans sein ^^


    https://youtu.be/6jq8SqLfhm4?t=390
    Minute 6:20

    Die TF Sucht ist zu Ende!

    2 Mal editiert, zuletzt von columbo ()

  • Meiner Meinung nach funktioniert der Cold-Steel Öffner am besten von allen.
    Der Tri-Ad hat oft einen ziemlichen Wiederstand, aber die große Platte hat wirklich gut Grip, funktioniert am besten im Saum, im Gegensatz zu den klassischen Waves (die Technik die Micha bereits erläutert hat hat sich auch bei mir durchgesetzt)


    Interessant für den Mod fände ich persönlich das Walther KDK, was auch recht günstig ist. Durch den nicht umsetzbaren Clip wäre es eher für Linke Hand Reverse prädestiniert.


    Auch ein Demko- Wave an einem Liner- oder Framelock wäre bestimmt sehr effektiv, kennt da jemand Modelle die in die Richtung gehen?

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