Klinge:
Vor allem die Klinge ist es natürlich, die das Jagdmeister von seinen Mitbewerbern optisch und funktional unterscheidet, daneben aber auch dazu beiträgt, dem Messer ein sehr eigenständiges „Standing“ in der Wahrnehmung zu verschaffen.
Sie ist sehr durchdacht nach den Bedürfnissen der vorgesehenen (jagdlichen) Primäranwendungen gestaltet, wir werden aber sehen, daß man mit dem Messer auch im nichtjagdlichen Alltag sehr viel anfangen kann.
Das Messer ist – so viel erschließt sich auch mir als selbst nicht aktiv Jagender – nicht als jagdlicher „Spezialist“ (reiner „Saufänger“, spezielles Aufbruch- oder Abhäutemesser) gestaltet, sondern soll alle jagdlichen Anwendungen abdecken, vom Abfangen über das Aufbrechen, das Aus-der-Decke-Schlagen bis hin zum Zerlegen von Wild.
Wie bei Tony gewohnt, wurde das in jedem Detail berücksichtigt:
Die tiefe beidseitige Kehlung der Klinge, nach vorn oben offen auslaufend, führt beim Abfangen durch Kammerstich (Stechen in den Thoraxraum, also den die Lunge und das Herz umgebenden Brustraum des Wildes), zum Eindringen von Luft in den Stichkanal. Außen wird so eine Lunge, ob beim Reh oder beim Menschen, von Unterdruck bis zum Rippenfell umgeben, Luft soll da nur IN der Lunge sein, nicht drumherum, im sogenannten Pleuraspalt. Dringt Luft in diesen Unterdruckbereich, fällt die Lunge sozusagen zusammen, weil sie nicht mehr durch den „ansaugenden“ Unterdruck auseinandergehalten wird bzw. sich dorthin zum Atmen ausdehnen könnte– das nennt man „Pneumothorax“, bei einem Kammerstich mit einem Messer wie dem „Jagdmeister“ wird mit jedem weiteren Atemzug zusätzliche Luft von außen durch den Stichkanal eingesaugt, ein sog. „Spannungspneumothorax“. Das führt neben drastischer Reduzierung der Sauerstoffzufuhr vor allem zu einem Verzug der Hohlvene, die Blut zum Herzen zurückleitet – und damit zu rapidem Kreislaufabfall bis zum Kollaps in kürzester Zeit. Selbst wenn der Kammerstich also das Herz des Wildes nicht trifft bzw. die Aorta durchtrennt, tritt der Tod schnell und zuverlässig durch Kreislaufzusammenbruch ein (nicht durch quälend langsames Ersticken!).
(Tiefe Kehlung: Kizlyar "Stalker 2" und "Jagdmeister")
Übrigens gibt es auch militärische Spezialmesser, die diesen Effekt anstreben, entweder durch eine tiefe Kehlung, die man oft „Blutrinne“ nennt – oder durch eine rohrförmige Klingengestaltung bei Stoßklingen, ähnlich sozusagen einer überdimensionalen Injektionsnadel. Beim „Jagdmeister“ ist allerdings ganz klar – WOFÜR die Kehlung hier gemacht ist, in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht.
Gilt es gerade nichts abzufangen, stellt sich natürlich die Frage, ob man dadurch mit dem Messer im Alltag weniger anfangen könnte – zwei Monate Praxisgebrauch lassen mich diese Frage verneinen:
Stabilitätsprobleme gibt es bei der Klinge überhaupt keine, nicht bei Batoning, nicht bei anderem robusten Umgang. Das Messer sieht durch die Kehlung grazil aus, ist aber funktional stabil selbst nach meinen Vergleichen mit meinen diversen klingenstarken „Tacticals“: Es nutzt den Statikeffekt, der auch Doppel-T-Träger besonders belastbar macht, sozusagen ein Verbinden horizontal und vertikal besonders belastbarer Bereiche in einer Gesamtgestaltung. Die Techniker oder gar Statiker unter den Lesern mögen mir den vielleicht etwas unbeholfen wirkenden Erklärungsansatz verzeihen – es funktioniert aber jedenfalls besser, als ich es erklären kann…
Andere Anwender mögen sich fragen, ob sich denn so eine tiefe Kehlung ausreichend einfach und gründlich reinigen läßt – was im jagdlichen Bereich wegen der Benetzung mit „Schweiß“, aber natürlich auch im Alltagsbereich wichtig ist. Beim Jagdmeister begünstigt die Breite der Kehle und ihre nach vorn offene Gestaltung das Reinigen: Man kann mit der Fingerkuppe (und ggf. einem Tuch oder Schwamm) „bündig“ die gesamte Wandung abwischen, nichts verfängt sich in zu scharfen oder tiefen Kanten. Auch mit meinen robusten Reinigungsmethoden (Spülschwamm und –tuch, ggf. Wurzelbürste usw.) habe ich das Messer stets wieder schnell sauber bekommen.
Indirekt führt die Kehlung hingegen zu einer klingengeometrischen Notwendigkeit, die zumindest außerhalb des primären Anwendungsbereiches, z.B. bei der Verwendung als EDC, den Freunden von „Schneidteufeln“ weniger gefallen wird: Der Platzbedarf für die Kehle senkt die Anschliffhöhe auf die halbe Klingenhöhe, also 12 mm. Das ist nicht sehr viel Platz, um von 5 mm auf Null zu kommen – und führt zwangsläufig zu einem eher „breitschultrigen“ Anschliff – ausgeprägter als z.B. beim fast rückenhoch aus Viertelzollstärke angeschliffenen Extrema Ratio Shrapnel.
("Jagdmeister" mit Viertelzöllern: Extrema Ratio "Fulcrum C" links und "Shrapnel" rechts)
Das wirkt sich, insbesondere bei härterem bzw. spröderem Schneidgut, stärker aus als beim Schneiden von Fleisch. Mich selbst stört es beim „Jagdmeister“ nicht wirklich, zumal ich ja häufig mit klingenstarken Messern – auch mit relativ niedriger Anschliffhöhe – umgehe. Da das „Jagdmeister“ im nichtjagdlichen Bereich vermutlich vor allem Anwender anziehen wird, die auch nordische Messer attraktiv finden (die sehr häufig auch mittelhoch angeschliffen sind), wird das wohl auch hier kein wirkliches Problem sein – wer allerdings ansonsten einen vielleicht auch noch hohlgeschliffenen 3 mm – Schneidteufel als EDC-Fixed führt, muß den Unterschied wahrnehmen und bedenken. Umso wichtiger wäre natürlich eine möglichst sorgfältige und gute werksmäßige Schärfung gewesen, das sollte Eickhorn berücksichtigen.
Aufgewogen wird das zu einem Gutteil durch einen sehr gelungenen vorderen Schneidenbogen, über dessen optimalen Winkel Tony mit Sicherheit mit ähnlicher Sorgfalt nachgedacht hat wie bei seinem GEK. Zudem läßt sich durch die relativ geringe Klingenhöhe auch sehr gut mit dem Messer arbeiten – was sich im jagdlichen Bereich z.B. beim Aufbrechen von Wild sehr vorteilhaft auswirkt, funktioniert im Alltagsbereich natürlich ebenso positiv, insbesondere bei größerem Schneidgut, Richtungswechseln im Schnitt usw. So haben ja z.B. auch Ausbeinmesser nicht zufällig eine zwar stabile, aber niedrige Klinge.
Dabei kann man durch die Kombination von sehr schneidgünstigem vorderen Schneidenbogen und relativ niedriger Klinge ergonomisch sehr günstig und präzise arbeiten, ob nun eben jagdlich z.B. beim Aufbrechen von Wild, beim „Ringen“ usw. – oder eben bei eher schwierigen, präzisen Schneidarbeiten im Allroundbereich.
Die Spitze ist ein wenig abgesenkt, was im jagdlichen Bereich die Gefahr des Einstechens der Spitze bei Verwendung der Klinge mit nach oben gewandter Schneide erfreulich reduziert (Aufbrechen usw.). Im Alltagsbereich macht es sich ebenfalls günstig, die Spitze ein wenig in Richtung Mittelachse der Klinge zu senken: Durchsticht man widerstandsfähiges Schneidgut, wird die Gefahr des „Abkippens“ der Klinge reduziert.
Die Klingenlänge ist dabei so bemessen, daß man das Messer erstens bis in die Spitze sehr präzise führen und zweitens ggf. den Zeigefinger schützend entlang des Klingenrückens bis unmittelbar zum Spitzenbereich anlegen kann, um z.B. beim Auftrennen der Decke ein Einschneiden ins Fleisch zu vermeiden bzw. beim Aufbrechen ein Einstechen in die darunterliegenden Organe zu vermeiden. Sowohl meine beiden jagenden Kollegen als auch der jagdlich erfahrene Interessenfreund Matthias „jackknife“ haben mir nachvollziehbar die Vorteile dieser moderaten Klingenlänge bei der „roten Arbeit“ immer wieder bestätigt.
("Jagdmeister" als "scharfer Finger")
Handlich wird das natürlich entsprechend auch im Alltagsbereich – und (leider muß man das ja in Deutschland nun auch immer berücksichtigen) zusätzlich eben auch „rechtlich unbedenklich“….
Insgesamt kann man mit der sehr stabilen Klinge also gerade etwas kompliziertere Schneidaufgaben gut erledigen, Richtungswechsel durchführen, bedarfsweise sowohl bei normaler Handhaltung kraftvoll / konventionell schneiden als auch mit dem „Jagdmeister“ arbeiten wie mit einem „scharfen Finger“.